Sturms Flug
damit die vorhandene Feuerkraft zur Schau stellen, denn ein wirkliches Ziel befand sich nicht in Schussweite. Dank der Vergrößerung konnte man deutlich sehen, dass der Schütze ein Farbiger war, während es sich bei dem ersten Mann um einen Weißen handelte.
Grillo löste sich von dem Anblick der Aufzeichnung. »Sie sind ja immer noch hier«, stellte er in Richtung des Polizeipräsidenten fest.
Dieser wollte zu einer Litanei des Protestes ansetzen, doch Grillo brachte ihn mit einer Geste seiner knochigen Finger zum Schweigen. »Wenn es Sie glücklich macht, dann bleiben Sie meinetwegen. Zum Streiten fehlt uns nämlich die Zeit, begreifen Sie das, Mann?«
Er rief seinen Leuten ein paar knappe Anweisungen zu, woraufhin sie auseinanderstoben wie ein vom Platzregen überraschtes Jahrmarktspublikum. Jeder wusste, was er zu tun hatte.
Grillo ließ sich auf einem Stuhl nieder, ohne vorher den Trenchcoat auszuziehen. Er wandte sich an den Einsatzleiter, den der PP vorhin als Polizeidirektor ( PD ) Riedel vorgestellt hatte. »Beurteilung der Lage?«
Riedel warf Herrn Dr. Bohne einen verstohlenen Blick zu, doch der stierte schmollend in eine andere Richtung.
»Nun«, begann der Einsatzleiter, »gegen neun Uhr zwanzig meldete sich der Pilot einer bereits gelandeten Boeing 737-800 beim Tower und teilte mit, dass ein Unbekannter, der sich ›Löwe von Puntland‹ nennt, die Maschine in seine Gewalt gebracht habe. An Bord befinden sich einhundertvierundachtzig Passagiere sowie sechs Besatzungsmitglieder. Puntland fordert zehn Millionen Euro in bar, die Betankung des Flugzeugs sowie die Freilassung Omar Aidids. Das ist ein somalischer Pirat, müssen Sie wissen, der gegenwärtig in Haft …«
»Geschenkt«, unterbrach Grillo. »Anzahl der Geiselnehmer?«
»Unbekannt«, gab Riedel zu. »Die Fluggesellschaft, eine südafrikanische Bananen-Airline, wie mir scheint, war bisher noch nicht in der Lage, uns die Passagierlisten zukommen zu lassen. Ich versichere Ihnen aber, dass wir mit Hochdruck …«
Erneut zückte Grillo sein Handy, bei dem es sich nicht um ein herkömmliches Mobiltelefon handelte, sondern um ein sogenanntes Smartphone , also um einen Minicomputer in Handygestalt, der schätzungsweise eine Million Funktionalitäten zur Verfügung stellte und mit dem man so ziemlich alles anstellen konnte außer Kaffeekochen.
Grillo schaute auf das Display des Wundergerätes. »Ich habe die Passagierliste vorliegen. Demnach sollten wir von vier Entführern ausgehen.«
Der PP, immer noch Luftlöcher starrend, stieß einen Grunzlaut aus.
Grillo beachtete ihn nicht. »Diese vier haben in Mombasa eingecheckt und sind somalische Staatsangehörige. Einer von ihnen heißt Asad Aidid. Zufall oder ein Verwandter Omar Aidids? Vielleicht sein Bruder. Leider wissen wir rein gar nichts über ihn und die drei anderen, da sie in den Datenbeständen von Interpol nicht auftauchen. Entweder weil sie noch nie geschnappt wurden oder weil es brave Bürger sind.« Er nickte in Richtung der Leinwände. Auf der linken wurde in einer Endlosschleife die Sequenz wiederholt, in der anfangs der Mann zu sehen war, der fast aus dem Flugzeug gestürzt wäre, und danach derjenige, der mit einer Maschinenpistole feuerte. »Was wissen Sie über die Bewaffnung der Geiselnehmer? Außer der Maschinenpistole, meine ich.«
Wieder musste Riedel einräumen, diesbezüglich noch keine Informationen vorliegen zu haben. »Wir vermuten«, legte er unbehaglich dar, »dass die Entführer die Waffen nicht an Bord geschmuggelt haben, sondern dass sie bereits vor Flugantritt dort deponiert wurden, vielleicht von bestochenem Reinigungspersonal oder vom Catering-Service. Die Maschine kommt aus Kenia, und die dortigen Sicherheitskontrollen entsprechen keinesfalls hiesigen Standards.«
Grillo ließ nicht erkennen, was er von dieser Theorie hielt. Stattdessen berührte er mit dem Zeigefinger den Touchscreen seines Smartphones, wodurch eine Aufzeichnung abgespielt wurde.
» Hier spricht der Löwe von Puntland!« , war eine herrische Stimme zu vernehmen. Sie sprach Englisch, makelloses Englisch, und sie gehörte ohne Zweifel dem Entführer, wie Riedel sofort erkannte, da er sich die Aufzeichnung des Funkspruchs, der ursprünglich beim Tower eingegangen war, vorhin mindestens ein halbes Dutzend Mal angehört hatte. Demnach war das, was da soeben aus Grillos Smartphone kam, ein Mitschnitt eben jenes Funkspruchs. »Dieses Flugzeug befindet sich in meiner Gewalt. Ich wiederhole:
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