Sturms Jagd
ganz weit über den Rand des Containers.
Jupp schüttelte den Kopf. »Du hast ’nen Knall, Junge. Komm jetzt da runter! Der Alte tritt uns in den Hintern, wenn wir zu spät …«
»Warte mal!« Lukas verharrte und lauschte mit schräg gelegtem Kopf. »Ich hör was.«
Jupp horchte ebenfalls, doch da war nichts weiter als die üblichen Geräusche des nahen Schlachtbetriebes, das Rumoren der Knochenmühle, das Zischen der Dampfstrahler, ab und zu ein wegfahrendes Auto auf dem Parkplatz vor dem Hauptgebäude. »Ich hör nichts«, stellte er fest und ließ seine halb gerauchte Zigarette auf den Asphalt fallen. »Komm und lass uns den Container aufladen, damit wir verschwinden können.«
Lukas rührte sich nicht. »Da war es wieder«, sagte er nach einer Weile.
»Komm jetzt endlich da runter! Oder soll ich dich mit aufladen? Dann endest du ebenfalls im Ofen.« Jupp lachte, doch als er sah, dass sein Kollege immer noch keine Anstalten machte, sich zu rühren, fragte er: »Was meinst du denn, Interessantes gehört zu haben?«
Lukas zuckte die Achseln. »Weiß nicht. Klang wie ein Schnaufen. Oder ein Stöhnen.«
»Ein Stöhnen, wie? Im Müllcontainer eines Schlachtbetriebs. Vielleicht ein Schwein, das vor den Metzgern abgehauen ist und sich dort verkrochen hat.«
Lukas bedeutete seinem Kollegen mit einer Geste, still zu sein. Angestrengt lauschte er nach dem Ursprung des vermeintlichen Stöhnens.
Da war es wieder! Lukas war sich ganz sicher.
Er sprang in den Container, versank bis zu den Knien in feuchter Pappe, knisternder Verpackungsfolie und quietschendem Styropor. In gebückter Haltung zerrte er eins der Zinkbleche zur Seite.
Jupp platzte der Kragen. »Wenn du nicht in zehn Sekunden im Wagen sitzt, kannst du was erleben, Freundchen!«
Lukas war wie vom Donner gerührt. Nicht wegen der Drohung seines Kollegen.
Sondern wegen der Frau im Container.
Kapitel 43
Ohne große Eile, mit einem Kleid, das sie beim Gehen behinderte, näherte sich Mara der Bank. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, während sie scheinbar locker und ungezwungen den Eingangsbereich betrachtete. Von weitem sah sie, dass die ersten Kunden, die schon seit geraumer Zeit auf Einlass warteten, endlich ins Innere des Gebäudes eingelassen wurden, drei Männer in Anzügen und eine alte Dame.
Insgeheim befürchtete Mara einen Schrei, einen Schuss, irgendetwas, doch nichts geschah. Sie versuchte, die dunklen Panzerglasscheiben der Gebäudefront mit Blicken zu durchdringen, allerdings erfolglos. Dann erreichte sie die Drehtür, und die warmen Betonplatten des Gehwegs unter ihren nackten Füßen wichen rauem Teppich.
In diesem Moment, als sie von der Tür verschluckt wurde, nahm ihr Verstand seine Arbeit wieder auf. Endlich. Der Seelenschmerz verflog schlagartig, der Druck in der Brust wich, und das Herz tat nicht mehr weh. Natürlich war ihr bewusst, dass all diese Symptome zurückkehren würden, ganz klar, und das würde für noch mehr schlaflose Nächte sorgen, als sie ohnehin schon hatte. Doch im Augenblick zählte das nicht. Jetzt kam es nur drauf an, die Nerven zu behalten und keinen Fehler zu begehen.
Die Drehtür spuckte sie aus in einen klimatisierten Raum, der ihr im Kontrast zu der aufgestauten Hitze draußen furchtbar kalt vorkam. Gleichzeitig wurde ihr klar, dass ihr bereits der erste Fehler unterlaufen war. Und was für ein dämlicher Fehler! Wie konnte sie nur so unfassbar naiv sein, sich allein in eine Bank zu wagen, von der sie annahm, dass sie soeben überfallen wurde? Sogar die Spezialeinsatzkommandos (SEK) stürmten nur, wenn es absolut keinen anderen Weg mehr gab.
Wie blöd kann man sein? , ging sie in Gedanken mit sich ins Gericht. Der Wunsch, erschossen zu werden, den sie noch vor wenigen Minuten gehegt hatte, war verschwunden. An seine Stelle war Angst getreten. Das war gut, redete sie sich ein, denn Angst schärfte die Sinne. Toller Trost.
Ihr kam der Gedanke, sofort wieder umzukehren, doch das wäre zu auffällig gewesen. Wenn hier tatsächlich das ablief, wovon sie ausging, wurde die Tür scharf beobachtet, und ein vermeintlicher Kunde, der sogleich wieder verschwand, würde Verdacht erregen und die Täter aufschrecken. Verunsicherte Täter wiederum stellten eine Gefahr für die Geiseln dar, die sie zweifellos genommen hatten.
Langsam ging sie auf einen Schalter zu, blieb jedoch schon nach ein paar Schritten stehen. Sie musste sich unauffällig umschauen, die Lage sondieren, sich orientieren. Deshalb tat sie
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