Sturms Jagd
wiederholte er im Flüsterton, während er den Kopf noch ein Stückchen mehr einzog. Der befürchtete Gewaltausbruch blieb ihm jedoch weiterhin erspart.
Die Verbrecher schienen seine Reaktion einkalkuliert zu haben. Schweigend nickten sie einander zu, dann verschwand der Clown. Die anderen rührten sich nicht von der Stelle und gaben keinen Mucks von sich, was noch gefährlicher wirkte als jede ausgesprochene Drohung. Heintzel rechnete mit dem Allerschlimmsten, seine irrsinnige Tapferkeit löste sich Stück für Stück in Wohlgefallen auf. Er wollte etwas sagen, einlenken, doch Petrow schrie ihn an, gefälligst die verdammte Fresse zu halten.
Endlich kehrte der Clown zurück, eine der Kundenberaterinnen, Frau Vicari, vor sich hertreibend. Sie weinte, ihr Lidstrich war verlaufen.
Wortlos nahm der Clown ihre rechte Hand und befestigte den Mittelfinger am Treppengeländer, indem er ihn mit Kabelbinder fixierte. Diesen zog er so stramm, dass Frau Vicari unwillkürlich aufschrie. Ihre Fingerkuppe lief sofort an, bis sie fast so rot war wie der lange, ordentlich gefeilte und lackierte Nagel.
Der Clown griff in eine der vielen Taschen seiner Montur und förderte eine Zange mit gekrümmten Backen zutage, die vorn nadelspitz zusammenliefen. Er setzte das Werkzeug an – und riss Frau Vicari mit brutaler Gewalt den Nagel des Mittelfingers aus.
Sie kreischte wie am Spieß, während dickflüssiges Blut auf den Fußboden tropfte.
Petrow funkelte Heintzel durch den Sehschlitz der Sturmhaube an. »Jetzt sind noch neun Fingernägel übrig. Die nehmen wir uns der Reihe nach vor. Danach schnippeln wir ihr die Finger ganz ab. Willst du das, Schwuchtel?«
Das Geschrei der Bankangestellten fuhr Heintzel bis ins Mark. Sie flehte um Gnade. Nur Sekunden später hatte er die richtige Kombination aus Ziffern und Zeichen eingegeben. Im Inneren der Tür rumorte es, die Farbe der Leuchtdioden wechselte von Grün zu Orange, doch sonst geschah nichts.
»Und? Wie lange dauert es jetzt?«, verlangte Petrow zu wissen.
Heintzel ging näher an den Touchscreen heran und las ein Display ab. »Dreiundzwanzig Minuten«, gab er Auskunft.
Hungerturm schaute auf seine Armbanduhr. »Das ist nicht gut. In zehn Minuten öffnet die Bank.«
Mit dem Aufzug fuhren sie wieder nach oben. Frau Vicari blieb winselnd zurück, was keine Gefahr darstellte, da sie den Kabelbinder unmöglich lösen konnte, der sie mit dem immer noch blutenden Finger ans Treppengeländer fesselte. Auch Heintzel musste unten warten, doch davon bekam er nichts mehr mit, da er rücklings vor der Panzertür lag, mit dem Kopf in einer dunkelroten Lache. Haarbüschel, Knochenfragmente und Klumpen einer glibberigen Masse schufen ein Bild des Grauens.
»Du durchgeknallter, gemeingefährlicher Psychopath!«, raunzte Hungerturm den Clown an, als der Aufzug das Erdgeschoss erreichte. »War das nötig?«
Der Clown machte eine wegwerfende Handbewegung. »Selbst schuld, die Witzfigur. Sein Theater hat uns fast fünf Minuten gekostet.«
Hungerturm bebte vor Zorn. »Ach ja? Und deshalb musstest du ihm in den Kopf schießen, du kranker Spinner? Ein Banküberfall ist eine Sache, aber Mord ist etwas ganz anderes!«
Kapitel 41
Mara stierte reglos ins Leere, während ihr eine stumme Träne über die Wange rann. Vor ein paar Minuten hatte sie sich übergeben, hatte die Tür aufgerissen und sich aus dem Wagen gebeugt, und seitdem hatte sie kein Wort mehr gesprochen. Lohmann hatte sie gefragt, was mit ihr los sei, ob er etwas für sie tun könne, ob sie krank wäre, doch sie hatte stoisch geschwiegen und wie versteinert dagesessen. Lediglich die Wasserflasche, die er ihr hinhielt, um den Mund auszuspülen, hatte sie entgegengenommen.
Ab und zu wimmerte sie leise. Hinter ihrer Stirn wirbelte alles durcheinander, sie fühlte sich wie betrunken, sah bekannte Gesichter, die sich im nächsten Moment in Karikaturen verwandelten, hörte lachende, kreischende Stimmen.
Seine Truppe hieß Falcon Brigade. Ihr Erkennungsmerkmal ist eine Tätowierung am Handgelenk. Eine andere Stimme: Überfall? Nee, ganz sicher nicht. Wir waren gerade drin. Die Alarmanlage scheint zu spinnen, das ist alles. Wieder die erste Stimme: Smertin hat den Falcon-Brigadisten auf dich angesetzt. Sein Auftrag besteht darin, dich auszuhorchen.
Sie hielt sich die Ohren zu, versuchte die Stimmen aus ihrem Kopf zu verbannen, doch es gelang ihr nicht. Noch schlimmer als der Singsang im Schädel war das Gefühl in der Brust, genau dort, wo
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