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Sturms Jagd

Titel: Sturms Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Quandt
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Raubvogel mit ausgebreiteten Schwingen zeigte. In seinen Krallen trug er zwei gekreuzte Gewehre. Darunter sah Laura einen Schriftzug, den sie im Halbdunkel nicht vollständig zu lesen vermochte. Der zweite Teil jedenfalls war das Wort Brigade . Die Tätowierung wirkte irgendwie militärisch, ganz anders als Kippes Wahnsinnigen-Tattoos oder die hässlichen blauen Gebilde, die sie vorhin auf Pjotrs Armen gesehen hatte und die vermutlich das Ergebnis einer heißen Nadel und Tinte waren, entstanden in einer Gefängniszelle zwischen Hofgang und Dusche.
    »Habe schon oft überlegt«, sinnierte Kippe laut, »wie es sich wohl anfühlt, eine auf dem Schwanz auszudrücken.« Sein Gesichtsausdruck blieb vollkommen ernst, etwa so, als denke er darüber nach, wie sich das Welthungerproblem am effektivsten bekämpfen ließ.
    Unvermittelt beugte er sich zu ihr hinab und schob ihr die Zunge ins Ohr. Das war nass und warm und widerlich.
    »Wir werden noch viel Spaß miteinander haben«, prophezeite er halb flüsternd, halb stöhnend. »Wenn der liebe Victor erst mit dir fertig ist, werde ich mich um dich kümmern. Ehrenwort.«
    Sie hatte das Gefühl, sich auf der Stelle übergeben zu müssen.
    Bevor es dazu kam, hielt der Wagen an. Pjotr und der Fahrer sprangen aus dem Führerhaus, gleich darauf öffnete sich die Schiebetür.
    »Raus da! Dawai, dawai! «
    Wie in Trance gehorchte sie. Sofort stieg ihr ein intensiver, nicht alltäglicher Geruch in die Nase, der sie unwillkürlich schaudern ließ. Was war das? Woher kannte sie dieses grausige Aroma?
    » Dawai, Raskladuschka! « Ein Ellenbogen wurde ihr in den Rücken gerammt und trieb sie vorwärts.
    Undurchsichtiges Halbdunkel umfing sie. Der Geruch wurde stärker. Sie schnüffelte, und schlagartig erwachte ein Bild aus Kindertagen vor ihrem geistigen Auge.
    Damals hatte sie viel Zeit auf dem Bauernhof ihres Patenonkels verbracht. Einmal, mit elf oder zwölf, hatte sie heimlich dabei zugesehen, wie eine Sau geschlachtet worden war. Das Quieken des rosigen Tieres, das spürte, welches Schicksal ihm bevorstand, war entsetzlich gewesen, fast so entsetzlich wie das Schnalzen des Bolzenschussgerätes und das Knacken des Schädelknochens. Die Sau war zu Boden gegangen, als hätte ihr jemand die Beine weggerissen, aber sie hatte noch gelebt. An ihrem Kopf, genau an der Stelle, die man beim Menschen als Schläfe bezeichnet, hatte sich ein kreisrunder blauer Fleck gebildet. Der schwere Leib des Tieres war zur Seite gekippt, seine vormals lustige Nase hatte gezuckt, die Beine hatten gezappelt.
    Laura war in Tränen ausgebrochen, während ihr Onkel und sein Gehilfe eine Kette um die kraftlos strampelnden Gliedmaßen geschlungen hatten. Danach war das halb bewusstlose Tier mit einer Winde in die Höhe gezogen worden. Und dann hatte Onkel Ralf plötzlich ein Beil in der Hand gehalten und es in die bebende Seite des Tieres geschlagen, immer und immer wieder. Das Blut war meterweit gespritzt, auf die Fliesen, auf Onkel Ralfs Schürze, in sein Gesicht, auf seine Hände. Laura hatte ihren Patenonkel nie wieder besucht. Außerdem wusste sie seit jenem Tag, wie Blut riecht.
    Sie blieb stehen. Der Gestank nach frischem Blut war so nachhaltig, dass ihr schwindelig wurde. Auf dem Boden, vor ihren Schuhspitzen, entdeckte sie einen dunklen Fleck.
    Sie hielt den Atem an.
    Der Fleck war eine Blutlache.

Kapitel 6
    Zeit bis zum Beginn der Operation Schneesturm:
32:11:44
    Eine Melodie aus Pieptönen riss Mara aus dem Halbschlaf. Hörte sich an wie Smetanas Moldau, zumindest mit etwas Fantasie. Die Melodie, das Gepiepe, war nervtötend. Blöder Klingelton. Blödes Telefon. Blöder Anrufer.
    Benebelt und völlig gerädert hob sie den Kopf. Die Leuchtziffern des Weckers zeigten 23 Uhr 49. Hmmm … also hatte sie nicht einmal zwanzig Minuten geschlafen. Wer besaß die Frechheit, so spät noch anzurufen? Manche Leute hatten aber auch wirklich Nerven.
    Die Moldau kannte kein Erbarmen, das Gepiepe ging weiter.
    Mara zog sich das Kissen über den Kopf. Nein, sie würde nicht aufstehen und ans Telefon gehen, nicht um diese Uhrzeit. Wer auch immer der Störenfried war, er würde sich bis morgen gedulden müssen. Und überhaupt, wenn es etwas Wichtiges wäre, dann hätte er auf ihrem Handy angerufen.
    Und noch immer die Moldau.
    Sie stopfte sich die Zeigefinger in die Ohren. Mist, so war an Einschlafen nicht zu denken. Dabei sehnte sie sich nach Schlaf, lechzte mit jeder Faser ihres Körpers nach Ruhe und Erholung. Bedingt

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