Sturms Jagd
du, dass Pjotr dir wieder ins Gesicht schlägt?« Er deutete auf den Beifahrer. »So was macht ihm Spaß, du solltest also still sein und mit den Faxen aufhören. Außerdem hat die Tür eine Kindersicherung, du bekommst sie von innen sowieso nicht auf.« Winzige Pause. »Wie gefällt dir meine Zeichnung?«
Sie brachte keinen Ton heraus. Der Kloß in ihrem Hals schwoll auf die Größe eines Tennisballes an, ihr Mund war staubtrocken. Irgendwie gelang ihr ein Kopfnicken.
Nach einer scheinbaren Ewigkeit ließ Kippe sie los. Seine Wurstfinger hatten Abdrücke auf ihrer Haut hinterlassen, die sich schon bald in blaue Flecke verwandeln würden. Laura fühlte sich vollkommen wehrlos. Sie war vollkommen wehrlos!
Ein lautes Schluchzen unterdrückend, kauerte sie sich wieder auf den Boden, zog erneut die Knie zu sich heran, krümmte den Rücken und vergrub den Kopf zwischen den Armen. Mühsam kämpfte sie gegen die aufwallende Verzweiflung an, denn sie wollte den Kerlen nicht den Gefallen tun, sie weinen zu sehen. Um sich abzulenken, dachte sie sich eine fünfstellige Zahl aus, die sie im Geiste durch sieben teilte. Das führte zu nichts, da sie sich nicht konzentrieren konnte. Natürlich nicht, niemand hätte das in dieser Lage vermocht.
Immer wieder drehten sich ihre Gedanken um die Frage, was diese Verbrecher mit ihr vorhatten. Eine plausible Antwort wollte ihr partout nicht einfallen. Nur eins war sicher: Hinter dem Ganzen konnte unmöglich Rollo stecken, denn das hier war nicht das Kaliber eines schmachtenden Stuckateurs, der Hundehaufen unter Fußmatten drapierte.
Sie zwang sich, ruhig zu atmen. Noch mal in aller Ruhe: Der Typ auf dem Beifahrersitz hieß also Pjotr. Tolle Erkenntnis. Sollte sie jemals heil aus dieser Sache herauskommen, würde sie der Polizei erzählen können, von Pjotr, Kippe und Co. verschleppt worden zu sein, am helllichten Tag, in einem Lieferwagen voller Kühlbehälter aus Styropor. Fraglich, ob ihr das jemand glauben würde. Fraglich, ob sie selbst das glaubte.
Sie erinnerte sich, dass Pjotr der russische Name für Peter war. Das wusste sie deshalb, weil unter den Spielkameraden ihres Sohnes ebenfalls ein Pjotr war.
Auf welch überflüssige Gedanken man kam, wenn man vor Angst schlotterte.
Kippe machte seinem Namen alle Ehre und zündete sich eine weitere Kippe an. Nachdem er sie schweigend geraucht hatte, rüttelte er Laura unsanft an der Schulter, damit sie auf ihn aufmerksam wurde. »Sieh dir das an!«, forderte er, als sie den Kopf hob.
Dann tat er etwas, das sie nicht erwartet hatte. Dennoch fügte es sich nahtlos in die Reihe dessen, was in den letzten Minuten geschehen war: Er drückte die Zigarette auf seinem Unterarm aus.
Das Zischen, das den Vorgang begleitete, war deutlich zu hören. Sofort erhob sich der Ekel erregende Gestank verbrannten Fleisches. Kippe zitterte am ganzen Leib, sein fetter Bauch wackelte über dem Hosenbund, Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Doch als es vollbracht war, legte er den Kopf in den Nacken und grunzte voller Wohlbehagen. Wie entrückt starrte er lange ins Leere, bevor er dazu überging, Laura unverschämt anzugrinsen.
»Das ist besser als ein Orgasmus«, raunte er im Bühnenflüsterton. »Ich mache das fast täglich. Kann gar nicht genug davon bekommen. Schade, dass meine Kunstwerke dabei draufgehen.«
Damit mussten die Tätowierungen gemeint sein. Plötzlich begriff Laura, woher die vielen Male und Narben stammten, zwischen denen die Amazonen kaum noch Platz fanden. Wenn es überhaupt noch eines Beweises bedurft hätte, dass Kippe nicht ganz dicht war, so hatte er ihn gerade erbracht. Allmächtiger, und sie hatte Rollo für durchgeknallt gehalten!
»Ich hab mir die Dinger auch schon auf der Stirn ausgedrückt. Unbeschreibliches Gefühl. Geil. Krieg ’nen knüppelharten Ständer davon.«
Er grinste wie ein Honigkuchenpferd – oder eher wie ein Honigkuchenschwein –, und diesmal ließ sich sogar der Schweigsame zu einem Schmunzeln herab.
Laura schaute mit aufgerissenen Augen zwischen den beiden hin und her.
Der Schweigsame sah anders aus als seine Kumpane, fast normal. Er war auffallend gepflegt und trug ein blütenweißes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Man hätte ihn als attraktiven Mann bezeichnen können. Er wirkte nicht wie ein Verbrecher, trotz seiner harten Gesichtszüge. Auf der Innenseite seines rechten Handgelenks, genau an der Stelle, an der man normalerweise den Puls fühlte, befand sich eine Tätowierung, die einen
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