Sturms Jagd
verunziert, dessen Bewohnerin genau auf dem Adamsapfel saß. Auch jeder Quadratzentimeter seiner fleischigen Arme war mit Tattoos bedeckt. Als Motive hatte er sich nackte, vollbusige Kriegerinnen mit Schwertern und Streitäxten ausgesucht. Überall zwischen den Tätowierungen befanden sich kreisrunde Male, teilweise vernarbt und krankhaft weiß, teilweise entzündet und feuerrot. Für die Ursache dieser Male gab es keine naheliegende Erklärung, was ihren Anblick allerdings nicht weniger abstoßend machte.
»Was habt ihr mit mir vor?«, fragte sie flehend.
Wie nicht anders zu erwarten, erhielt sie auch diesmal keine Antwort.
»Du hast hässliche Hände«, stellte Kippe stattdessen fest.
Sie war vollkommen perplex. Was redete der Kerl da? »Bitte?«
»Deine Hände«, versetzte er. »Sie gefallen mir nicht.«
Verwirrt betrachtete sie ihre Handflächen. Rau waren sie und schwielig, Ersteres kam von den Lacken und Lösungsmitteln, mit denen sie ständig umging, Letzteres vom vielen Putzen. Dem aberwitzigen Drang folgend, sich für das Aussehen ihrer Hände rechtfertigen zu müssen, erklärte sie: »Es sind die Farben. Ich male. Da kommt man mit allerhand aggressiven Substanzen in Berührung …«
»Ich auch«, fiel er ihr ins Wort.
Sie wusste nicht, was er meinte.
»Ich kann malen«, behauptete Kippe. »Da Vinci ist ein Wurm gegen mich. Warte, ich zeig’s dir.«
Er beugte sich zu einem Karton hinunter und riss eine Lasche ab, anschließend ließ er sich von seinem schweigsamen Kumpan einen Kugelschreiber geben. Und dann begann er, wie von Sinnen auf dem Karton herumzukritzeln. Seine irren Schweinsäuglein leuchteten wie die eines Kindes, dem man gerade seinen ersten Malkasten geschenkt hat.
Laura wurde immer verwirrter. Was sollte dieses Theater? Sie war soeben verschleppt worden, und das Einzige, was diesem Widerling einfiel, war, mit seinen Zeichenkünsten anzugeben? In ihrem Bewusstsein manifestierte sich die Vorstellung, dass der Wagen jede Sekunde anhalten müsste. Und wenn sich die Tür öffnete, würde jemand laut »Verstehen Sie Spaß?« rufen. Allerdings sollte sich dieser Jemand nicht mehr allzu viel Zeit lassen, denn sie stand kurz davor, den Verstand zu verlieren.
Es verging eine ganze Weile, in der nichts zu hören war außer dem Dröhnen des Motors und den Stimmen der beiden Männer im Führerhaus. Laura hatte den Eindruck, dass die Stadt hinter ihnen lag, denn der Wagen hielt nicht mehr an, um vor roten Ampeln zu stoppen. Außerdem schien er schnell zu fahren.
Endlich drückte Kippe ihr das Ergebnis seiner Bemühungen in die Hände.
Es war erstaunlich, verblüffend, faszinierend. Auf grausame Weise erschreckend. Ja, dieser hässliche Troll konnte tatsächlich zeichnen. Und wie er zeichnen konnte! Was er da in kürzester Zeit mit Kugelschreiber auf ein Stück Pappe projiziert hatte, war beeindruckend. Lediglich das Motiv ließ Laura schlucken. Es zeigte eine jener Amazonen, wie sie in Scharen seine Arme bevölkerten. Doch die Unglückliche stand gefesselt an einem Pfahl, und vor ihr hatte sich ein fetter Kerl mit Irokesenschnitt aufgebaut, der eine Kettensäge in den Händen hielt. Damit hatte er offenbar schon eine ganze Reihe Amazonen filetiert, denn er watete in abgetrennten Körperteilen.
Es war ein blutrünstiges Bild, genial gezeichnet, und Laura hatte unweigerlich das Gefühl, dass die Amazone am Marterpfahl sie selbst war. Als Künstlerin konnte sie sich lebhaft vorstellen, wie das Bild in Farbe ausgesehen hätte.
Sie zitterte. Der Typ, Kippe, war eindeutig geistesgestört! Plötzlich wurde sie von dem fürchterlichen Gedanken gepeinigt, in die Fänge einer Gruppe von Ritualmördern geraten zu sein, die schwarze Messen abhielt und dabei Frauen massakrierte.
»Ich will hier raus!«, entfuhr es ihr. Sie ließ Kippes Kunstwerk fallen und wollte flüchten, so schnell wie möglich die zwei Schritte zur Schiebetür überwinden, sie aufreißen und dann einfach aus dem Wagen springen, ganz egal, wie schnell er gerade unterwegs war.
Kippe vereitelte den kühnen Plan mit einer einzigen Handbewegung. Er machte sich nicht einmal die Mühe aufzustehen, sondern beugte sich nur nach vorn und ergriff ihren Arm. Er war erstaunlich flink, worüber sein fetter Wanst hinwegtäuschte. Und er packte noch fester zu als sein athletischer Freund mit den starken Unterarmen.
Während er sie mit der Rechten festhielt, legte er den Zeigefinger der Linken auf die Lippen. »Pssst!«, machte er. »Oder willst
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