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Sturms Jagd

Titel: Sturms Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Quandt
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veralbert hatte. Er war vielleicht fünfzig Meter entfernt, eigentlich nah, aber doch so unerreichbar, als wäre er auf einem anderen Planeten. Emsig hantierte er hinter dem Tresen seines Verkaufsstandes herum. Für einen kurzen Moment hob er den Kopf und schaute in die Runde, so als habe er ein Geräusch gehört, das er nicht zuordnen konnte. Laura hoffte, dass dieses Geräusch ihr Hilferuf war.
    Sie holte erneut Luft, doch ehe sie in der Lage war, ein weiteres Mal zu schreien, wurde sie brutal in den Wagen gestoßen. Dort landete sie auf der Ladefläche zwischen allerlei Kisten und Kartons. Der Irokese und der andere, der beim Fahrzeug gewartet hatte, kletterten hinterher, während der Typ mit den starken Unterarmen vorn auf den Beifahrersitz sprang. » Dawai! «, befahl er dem Mann hinter dem Lenkrad.
    Der Motor heulte auf, der Transporter preschte los. Laura konnte nicht sehen, wohin die Fahrt ging, da sich hinten keine Fenster befanden.
    Die Ladefläche lag im Halbdunkel.

Kapitel 5
    Der Irokese hatte sich auf dem linken Radkasten niedergelassen, mit dem Rücken an die Blechwand gelehnt. Sein Kumpan saß auf der gegenüberliegenden Seite, während Laura wie ein Häufchen Elend zwischen den beiden am Boden kauerte. In einer Art Schutzreflex zog sie die Beine an und hielt sie mit den Armen umklammert. Da es nirgends eine Gelegenheit zum Festhalten gab, hatte sie große Mühe, nicht kreuz und quer über die Ladefläche geschleudert zu werden, so wie die Kisten, die beständig von rechts nach links rutschten. Sie identifizierte die Behältnisse als Kühlboxen aus Styropor. Darin musste Gefriergut enthalten sein, was die Temperatur im Fahrzeuginneren erklärte, die knapp über dem Nullpunkt zu liegen schien. Laura bekam eine Gänsehaut. Doch wer hätte die nicht gehabt angesichts dessen, was gerade geschehen war? Oder noch geschehen würde. Sie wünschte sich, endlich aus diesem Albtraum zu erwachen.
    Der Irokese zündete sich eine Zigarette an und blies ihr den Rauch ins Gesicht. Er musterte sie mit einer Mischung aus Interesse und Belustigung.
    Mit Tränen in den Augen fragte sie: »Was … was habt ihr mit mir vor? Glaubt mir doch, bei mir gibt es nichts zu holen! Das alles muss ein Irrtum sein. Ich bin arm, meine Familie ist arm. Lasst mich in Ruhe!«
    Keine Antwort.
    Sie sprang auf und raffte die kläglichen Reste ihres Mutes zusammen. Ihre Stimme überschlug sich. »Lasst mich in Ruhe, ihr Feiglinge! Ich habe euch nichts getan!«
    Der Beifahrer drehte sich um und warf ihr einen zornigen Blick zu. Dann gab er dem Fahrer ein Zeichen, und der vollführte eine energische Lenkbewegung. Das unvermeidliche Schlingern des Fahrzeughecks brachte Laura aus dem Gleichgewicht, sodass sie von den Beinen gerissen wurde. Zur Begleitmusik schallenden Gelächters landete sie zwischen den Kühlboxen.
    Als sie sich wieder aufrappeln wollte, grinste ihr der Irokese geradewegs ins Gesicht.
    »Ich bin Kippe«, stellte er sich in beinahe liebenswürdigem Tonfall vor.
    Das war in Anbetracht der Situation vollkommen grotesk. Genauso gut hätte er sagen können: »Hallo, ich bin der neue Nachbar.« Oder: »Guten Tag, ich bin Ihr behandelnder Arzt. Wenn Sie sich jetzt bitte freimachen wollen.« Der letzte Gedanke ließ einen neuen Anfall von Panik in ihr aufwallen. Hatten die Kerle sie ausgesucht, um sich der Reihe nach an ihr zu vergehen? Oder sollte sie zur Prostitution gezwungen werden? Blödsinn, redete sie sich ein, das Leben ist kein Fernsehkrimi, und wir sind hier nicht in der Moskauer Unterwelt. Allerdings unterhielten sich die beiden Männer im Führerhaus auf Russisch. Davon verstand sie zwar kein Wort, doch der Klang dieser Sprache war ihr trotzdem vertraut, denn unter den Spielkameraden ihres Sohnes befanden sich einige Aussiedlerkinder aus der ehemaligen Sowjetunion.
    Kippe – was für ein bescheuerter Spitzname! – schien Deutscher zu sein, der vierte Mann schwieg, sodass Laura keine Ahnung hatte, welcher Herkunft er war. Doch selbst wenn sie es gewusst hätte, welche Rolle spielte das?
    »Was wollt ihr von mir?«, machte sie einen erneuten Versuch und bemühte sich, Kippes Blick standzuhalten.
    Er hatte klitzekleine Augen, in denen es funkelte, als wäre er besessen. Seine Leibesfülle war enorm. Links und rechts der Irokesenbürste bedeckten zwei Tätowierungen seinen Schädel, knapp über den Schläfen, eine auf jeder Seite. Laura erkannte darin zwei geflügelte Totenköpfe. Sein Hals wurde von einem Spinnennetz

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