Sturms Jagd
wärst, würde ich auf der Stelle über dich herfallen.«
KHK Schmitz grunzte, was alles Mögliche bedeuten konnte.
Mara teilte sich ein Büro mit ihm, weil sie der einzige Mensch im gesamten Polizeipräsidium war – womöglich sogar im ganzen Universum –, der mit ihm auskam. Mehr noch, sie konnte Schmitz um den kleinen Finger wickeln, denn er mochte sie, auch wenn sich diese Sympathie hinter einer Fassade aus inszenierter Schroffheit versteckte. Als sie kurz nach dem Todesschuss und der Trennung von ihrem Mann in einen mentalen Abgrund gestürzt war, hatte er sich rührend um sie gekümmert, fast wie ein Vater. Doch abgesehen von seiner Bürogenossin verabscheute er alles und jeden; er eckte überall an, nahm nirgends ein Blatt vor den Mund, war ständig auf Krawall aus. Nur die Tatsache, ein brillanter Ermittler zu sein, bewahrte ihn vor der allgemeinen Ächtung.
»Ha, ich bin unantastbar«, pflegte er zu poltern. Und: »Mir ist es vollkommen schnurz, was andere über mich denken. Sollen sie mich ruhig hassen. Außerdem bin ich in dreizehn Monaten ohnehin weg vom Fenster. Adieu, verdammtes Irrenhaus.« Damit spielte er auf seine bevorstehende Pensionierung an, der er täglich entgegenfieberte.
Schmitz schob die Akte beiseite, die vor ihm auf dem unaufgeräumten Schreibtisch lag. »Praktizieren wir neuerdings Gleitzeit?« Er schaute auf die Uhr an der Wand.
Mara folgte seinem Blick. 9 Uhr 36, mehr als anderthalb Stunden zu spät. Sie zuckte mit den Achseln. »Ich war die halbe Nacht hier. Ach, was rede ich, nicht die halbe, fast die ganze. Und falls es dich interessiert: Ich habe heute Morgen meinen Vater besucht.«
Er zündete sich eine Zigarette an, eine von schätzungsweise fünf Schachteln am Tag. Die ehemals weißen Wände des Büros waren schmierig und gelb, genauso wie seine Finger.
Natürlich galt in den Büros der Kölner Polizei ein offizielles Rauchverbot, das aber nur dort eingehalten wurde, wo Publikumsverkehr herrschte oder Polizeiräte herumliefen. Da Mara ebenfalls gern zur Zigarette griff, begehrte sie nicht gegen die extensive Nikotinsucht ihres Bürogenossen auf. Und der setzte sich schon deswegen über das Rauchverbot hinweg, um seinen Chef zu ärgern. So kurz vor der Pensionierung konnte man ihm mit Disziplinarmaßnahmen ohnehin keine Angst mehr einjagen.
»Was hast du denn mitten in der Nacht hier getan?«, wollte er wissen.
Sie hängte ihre Jacke an einen Haken und erzählte ihm von Laura Rosenzweigs mutmaßlicher Entführung.
Der Brummbär schüttelte ungehalten den Kopf. »Ich dachte, wir seien das KK 21 und zuständig für organisierte Kriminalität. Seit wann fallen Vermisstenangelegenheiten und Entführungen in unser Ressort? Gerade jetzt, wo wir mit Arbeit nur so zugeschüttet werden. Hey, schon vergessen, wir haben ein paar Russen zu finden. Die vom 11er haben sowieso den ganzen Tag nichts Besseres zu tun, als sich gegenseitig an den … Zehen zu spielen, die brauchen unsere Hilfe nicht. Am besten kümmerst du dich in Zukunft um deinen Kram. Erzähl mir lieber, ob sich dein Bruder endlich gemeldet hat. Weiß er mittlerweile, was läuft? Hat er ein paar Namen für uns?«
Sie verschwieg dem Griesgram, dass sie am Nachmittag weitere Ermittlungen im Fall Laura Rosenzweig anstellen wollte. Das Schicksal der jungen Frau berührte sie auf eigentümliche Weise, und sie betrachtete es als persönliche Angelegenheit, das Mädchen aufzuspüren.
»Nein, noch keine Nachricht von Jo«, gestand sie. »Allerdings habe ich ihm vorhin eine SMS geschickt und Druck gemacht. Bin ihm mächtig auf die Füße getreten.«
»Pah, der feine Herr Strasser ist eine verlogene Ratte. Wahrscheinlich weiß er ganz genau, was vor sich geht. Dieser Scheißer hat gute Verbindungen, kennt alles und jeden, hat Augen und Ohren überall. Würde mich nicht wundern, wenn der Sack …«
»Red nicht so über Jo! Er ist immerhin mein Bruder.«
Schmitz zog an der Zigarette und ließ den Rauch durch die Nasenlöcher entweichen. Das erinnerte an einen wütenden Stier in einem Cartoon. »Tamara, wir wissen beide, auf welche Weise dein feiner Herr Bruder zu Wohlstand gekommen ist.«
Mara schnaubte. Sie konnte es nicht leiden, wenn man über Jo herzog, ganz gleich, was für ein Schuft er war. Außerdem mochte sie es nicht, mit ihrem richtigen Vornamen angesprochen zu werden. Ihr Exmann war einer der wenigen gewesen, die ihn benutzt hatten. Schmitz verwendete ihn gelegentlich ebenfalls, doch alle anderen verkniffen
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