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Sturms Jagd

Titel: Sturms Jagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Quandt
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im Dezember achtunddreißig, weshalb sie auch rein optisch niemals ernsthaft mit einer Fünfundzwanzigjährigen konkurrieren konnte, zumindest nicht mit einer, deren Porträt so aussah. Sie hoffte inständig, dass Laura gefunden wurde, bevor man ihr etwas noch Schlimmeres antat, als sie zu entführen.
    Sie erreichte eine Tür, die mit 2A gekennzeichnet war. Zaghaft klopfte sie an.
    »Herein!«, rief eine Frauenstimme.
    Sie öffnete, betrat das dahinter liegende Zimmer. Es war geräumig, allerdings spartanisch eingerichtet. Viel zu spartanisch für 6000 Euro im Monat. Außerdem roch es muffig.
    Ein sehr betagter Mann saß in einem Sessel. Er hatte volles, fast schlohweißes Haar. Früher war es rotbraun gewesen, so wie Maras. Der Mann wurde von einer Krankenschwester gefüttert.
    »Hallo, Frau Sturm«, grüßte diese.
    Der Blick des Alten war stur auf den Löffel vor seiner Nase gerichtet. Er schien nicht bemerkt zu haben, dass jemand eingetreten war, und er schien auch die Schwester nicht wirklich wahrzunehmen.
    »Guten Morgen.« Mara deutete auf die Schale mit dem Brei und auf den Löffel. »Die Ärztin sagt, er sei in letzter Zeit klar, zumindest morgens. Wieso isst er dann nicht selbst?«
    »Ach, Frau Sturm, Sie haben wirklich Pech, Sie kommen eine halbe Stunde zu spät. Die Morgentoilette konnte er noch allein erledigen, doch dann war es vorbei. Mit einem Schlag, Sie kennen das ja. Jetzt weiß er nicht mal mehr, wie man einen Löffel hält. Mund auf!«
    Der Kiefer des alten Mannes klappte mechanisch nach unten, behutsam schob ihm die Schwester den Löffel zwischen die dritten Zähne.
    Mara rückte sich einen Stuhl zurecht und setzte sich neben ihren Vater. Sie ergriff seine Hand, und er ließ es geschehen. »Hallo, Paps«, sagte sie. »Ich bin’s, Mara.« Winzige Pause. »Deine Tochter.«
    Der Alte kaute auf seinem Brei herum, doch dann hörte er abrupt auf. Er wandte den Kopf in ihre Richtung, blickte jedoch durch sie hindurch. »Ich habe keine Tochter«, versetzte er tonlos.
    »Machen Sie sich nichts draus, Frau Sturm«, tröstete die Schwester. »Er meint es nicht böse, Sie wissen ja, dass er nicht Herr seiner Sinne …«
    »Ich habe einen Sohn«, brummte der Alte. »Ich bin stolz auf ihn. Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann.« Der Blick war immer noch leer, doch in der Stimme schwang die Andeutung von Emotion mit. »Ja, ich bin stolz auf meinen Sohn, er ist ein guter Junge, hat es zu etwas gebracht, mein Johannes.« Er durchbohrte Mara mit seinen toten Augen. »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
    Mara kämpfte gegen die Tränen. Ihren Bruder Jo, den Ganoven, den erfolgreichen Geschäftsmann, der seinen Wohlstand aus Bordellen zog und aus zweifelhaften Kämpfen hinter Maschendraht, diesen halbseidenen Gesellen hatte der alte Herr nicht vergessen, doch sie hielt er für eine Fremde.
    Weinend verließ sie das Zimmer.

Kapitel 9
    Als sich Mara in die Diensträume des Kriminalkommissariats 21 (KK 21) schleppte, fühlte sie sich vollkommen leer. Ihre Tränen waren getrocknet, doch innerlich weinte sie immer noch. Zudem steckte ihr die Müdigkeit so tief in den Knochen, dass es fast wehtat. Sie hörte ihr eigenes Blut in den Ohren rauschen, und bei jedem Herzschlag spürte sie ein schmerzhaftes Pochen hinter den Schläfen.
    Noch während sie mit dem Aufzug in die vierte Etage hochfuhr, spielte sie mit dem Gedanken, umzukehren und sich krank zu melden. Ihr Pflichtgefühl erhob dagegen jedoch augenblicklich Protest. Nein, blaumachen lag ihr nicht, das war schon immer so gewesen, selbst zu Schulzeiten. Außerdem wusste sie, dass sie trotz der endlosen Erschöpfung, die ihren Körper peinigte, höchstens drei oder vier Stunden Schlaf finden würde, selbst wenn sie zu Hause sofort ins Bett fiel.
    Sie betrat ihr Büro.
    »Wie siehst du denn aus?«, kam es ihr im Brummton entgegen.
    Der Sprecher war ihr Kollege, Kriminalhauptkommissar (KHK) Heinz Schmitz. Eine freundliche Begrüßung hielt er für überflüssig. Kein Wunder, denn Schmitz war ein abstoßender Griesgram mit verwildertem grauem Vollbart und einem Gesicht wie ein ungemachtes Bett. Sein fast schulterlanges, ebenfalls graues Haar hatte er im Nacken zu einem winzigen Pferdeschwänzchen zusammengefummelt, und seine Manieren waren mit ungehobelt noch freundlich umschrieben.
    »Einen wunderschönen guten Morgen, mein lieber Heinz«, sagte Mara überschwänglich. »Auch du siehst heute wieder ganz besonders entzückend aus. Wenn du vierzig Jahre jünger

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