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Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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gehört, was geschehen ist. Kann ich dir irgendwie helfen?«
    Darauf antwortete der Kaufmann nicht gleich. Wieder klirrte die Kette und schließlich war er dem Gitter so nahe, dass sie auch in dem diffusen Licht sein Gesicht erkennen konnte. Der Anblick ließ sie erschrocken zurückweichen.
    Martens' Haar war verfilzt und ein langer Bart umwucherte seinen Mund. Seine Augen blickten gequält aus dunkel umrandeten Höhlen.
    »Man hält mich für einen Verräter«, erklärte er, während er die Hand nach dem Gesicht seiner Tochter ausstreckte. Obwohl sie schmutzig war, ließ Anneke zu, dass er ihre Wange streichelte.
    »Aber warum?«, fragte sie. »Du hast doch alles getan, um den Menschen hier Brot zu verschaffen.«
    Martens schnaufte enttäuscht. »Stimmt, das habe ich. Doch dann sind die Kaiserlichen abgezogen und haben ihre Verletzten zurückgelassen. Unsere Wache hat sie inhaftiert und der Rat hat sie verhört. Einer der Soldaten behauptete, dass ein Händler aus Stralsund ihnen verraten hätte, wo eine Schwachstelle in der Verteidigung sei. Ich wurde vor den Rat gerufen und befragt. Bei der Konfrontation bezichtigte mich der Soldat, der Verräter zu sein.«
    »Und das hat man ihm einfach so geglaubt?«
    Martens nickte. »Ich bin einer der wenigen Händler, die mit den Kaiserlichen Geschäfte gemacht haben. Vielleicht hat sich der Soldat übervorteilt gefühlt oder hegte einen persönlichen Groll gegen mich. Ich weiß es nicht.«
    Annekes Zweifel meldeten sich zurück. Vielleicht war ja doch etwas dran an dem Verdacht …
    »Warum hast du mich dann nach Schweden geschickt?«, fragte sie schließlich. »Hast du gewusst, wie schlimm es wird?«
    Martens' Gesicht verzerrte sich, als litte er furchtbare Schmerzen. Alle zweifelten an ihm, sogar seine Tochter!
    »Es erscheint dir vielleicht, als hätte ich es getan, weil ich wusste, die Kaiserlichen würden siegen. Aber das stimmt nicht. Ich wollte dich nur vor den Kämpfen und dem Leid bewahren, das über uns gekommen ist.« Unvermittelt griff Annekes Vater nach ihrer Hand. Sie spürte, dass er zitterte. »Ich habe Stralsund nie verraten, das musst du mir glauben. Ich …«
    »Deine zehn Minuten sind um!«, schnarrte die Stimme des Henkers. Anneke wich vom Gitter zurück. Genau wie vorhin hatte sie Rentzhusen nicht kommen gehört. Wahrscheinlich hatte er einiges von der Unterredung mitbekommen.
    »Ich besuche dich wieder, wenn es geht«, versprach Anneke und erhielt als Antwort aus der Dunkelheit: »Pass auf dich auf, Kind!«
    Dann kehrte sie zum Henker zurück, der sie mit einem schiefen Grinsen musterte.
    Als sie das Henkershaus verließ, war ihre Sorge noch größer geworden. Sie hatte schon einmal gehört, was mit Verrätern gemacht wurde. Das Verbrechen wog so schwer, dass es ihren Vater an den Galgen bringen konnte.
    So weit durfte sie es auf keinen Fall kommen lassen!
    Sie musste mit Lambert Steinwich reden. Vielleicht gelang es ihr, ihn umzustimmen. Seiner Fürsprache würden die Ratsherren folgen.
    *
    Am Rathaus angekommen stand Anneke vor verschlossener Tür. Die Bewusstlosigkeit hatte ihr das Zeitgefühl größtenteils geraubt und nun erschrak sie regelrecht, dass die Glocken der Nikolaikirche das Ende des Tagwerks verkündeten.
    Bereits acht Uhr!
    Sie erinnerte sich wieder daran, wie in Stockholm die Glocke ihre Sonntagabende diktiert hatte, und ihr Herz wurde schwer, als sie auch wieder an Ingmar dachte.
    Werde ich ihn je wiedersehen?, fragte sie sich und sträubte sich innerlich gegen die wahrscheinlichste Antwort. Nein, noch will ich nicht glauben, dass die Fluten ihn verschlungen haben.
    Den Gedanken energisch beiseite drängend ließ sie den Blick über den Rathausplatz schweifen.
    Wohin sollte sie nun gehen? Das Kontor ihres Vaters war verriegelt. Der einzige Ort, der ihr offenstand, war die Hütte ihrer Mutter. Dort würde sie sich ausruhen können und vielleicht war ihre Nachbarin so freundlich, ihr etwas zu essen zu geben. Natürlich würde sie dafür etliche Fragen beantworten müssen, aber in diesem Augenblick fühlten sich ihre Knochen so schwer an, dass sie das gern in Kauf nahm.
    Sie kehrte also ins Viertel um St. Marien zurück.
    Der Himmel rötete sich zusehends, etwas, das sie aufgrund der weißen Nächte in Schweden nicht mehr gewöhnt war. Ein paar Passanten kamen ihr entgegen, aber die meisten Menschen waren bereits wieder in ihre Häuser eingekehrt.
    Bevor sie in die Kiebenhieberstraße einbog, ging sie noch einmal auf den

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