Sturmsegel
Fenstern des Kontors vorbeiging, wusste der Kaufmann genau, dass er zu ihm wollte.
Tatsächlich klopfte es wenig später an die Haustür.
Anneke und Hinrich, die in verschiedenen Ecken der Stube saßen, um sich nicht zu nahe sein zu müssen, blickten nun gleichzeitig ihren Vater an.
Martens nickte Hinrich zu, worauf er den Raum verließ. Anneke wollte sich ihm anschließen, doch der Kaufmann hielt sie zurück. »Dr. Steinwich kennt dich noch nicht, das ist eine gute Gelegenheit, dich ihm vorzustellen.«
Da trat der Bürgermeister auch schon ein. Sanne hatte ihm die Tür geöffnet.
Er war kein hochgewachsener Mann, aber dennoch ein imposanter Anblick. Unter seinen linken Arm hatte er einen Hut mit rot-weißem Federbusch geklemmt, sein Wams war schwarz wie die Hose und der Mantel. Seine Beine steckten in hohen, blank gewienerten Stiefeln. Der schneeweiße Spitzenkragen verlieh seinem Gesicht eine lebhafte Frische.
»Guten Abend, Meister Martens«, sagte er und begrüßte den Kaufmann mit Handschlag.
»Guten Abend, Dr. Steinwich, schön, dass Sie da sind. Ich habe Nettel beauftragt, uns warmen Gewürzwein zu machen. Bei der herrschenden Maikühle ist das sicher angebracht.«
Der Bürgermeister nickte, dann entdeckte er Anneke. Sie stand neben dem Fenster und war ein wenig verlegen.
»Darf ich vorstellen«, sagte Roland Martens und winkte sie zu sich, »meine Tochter Anneke.«
Die Überraschung war Steinwich deutlich anzusehen.
»Eure Tochter?«
»Ja, das ist sie«, antwortete Martens geradeheraus. »Ihre Mutter ist vor Kurzem verstorben und ich habe sie zu mir genommen.«
Anneke wurde rot. Der Bürgermeister konnte sich gewiss denken, dass sie ein Hurenkind war.
Roland Martens tat allerdings so, als sei alles ganz normal. Als die Überraschung von Lambert Steinwich abgefallen war, begrüßte er sie freundlich.
»Ich hoffe, du fühlst dich in diesem Haus wohl. Dein Vater ist ein wichtiger Mann für unsere Stadt.«
Nach der Ankunft des schwer beladenen Handelskarrens glaubte Anneke das gern.
»Anneke, frage doch bitte Nettel, wie weit sie mit dem Wein ist«, bat sie ihr Vater schließlich, worüber sie froh war. In der Gegenwart des Bürgermeisters fühlte sie sich nicht wohl, mochte er so freundlich sein, wie er wollte.
»Du bist ja rot wie eine Himbeere«, wunderte sich die Köchin, als sie die Küche betrat.
Sanne saß mit Nettel gemeinsam am Tisch und hatte sich ebenfalls etwas gewürzten Wein genehmigt. Die Kinderfrau wirkte besorgt, doch ihre Miene entspannte sich ein wenig, als sie Anneke erblickte.
»Dr. Steinwich ist da«, verkündete das Mädchen. »Vater lässt nach dem Wein fragen.«
»Den soll er gleich bekommen!«, entgegnete die Köchin und hob mit einer langen, rußgeschwärzten Stange einen kleinen Topf aus dem Feuer. Dabei war sie so geschickt, dass sie keinen Tropfen von dem Wein verschüttete.
»Dr. Steinwich ist ein stattlicher Mann, nicht wahr?«, fragte Nettel, während sie das Getränk in einen tönernen Krug mit Rosenmuster umgoss.
»Er ist ganz nett«, antwortete Anneke, denn die Röte auf ihrem Gesicht lag nicht daran, dass sie von dem Bürgermeister beeindruckt war, sondern war ihrer Verlegenheit zuzuschreiben.
»Also wenn du mich fragst, so einen Mann wie ihn hätte ich auch gern«, fuhr die Köchin fort. »Er soll aus dem Rheinischen kommen. Weißt du, wo das liegt?«
»Er kommt aus Düsseldorf, das liegt direkt am Rhein«, antwortete Sanne an Annekes Stelle. »Er hat dort studiert, lebt aber schon viele Jahre hier in Stralsund.«
»Und wie hat es ihn hierher verschlagen?«, wollte das Mädchen wissen.
»Das Leben geht manchmal seltsame Wege«, antwortete Sanne geheimnisvoll. »Er wurde hier Subsyndikus und lernte seine erste Frau kennen. Daraufhin ist er geblieben.«
»Ja, und es ist ein Jammer, dass er nach dem Tode dieser Frau eine Bürgermeistertochter aus Greifswald geehelicht hat«, beklagte sich Nettel erneut.
»Was redest du denn da?«, schalt Sanne. »Du glaubst doch wohl nicht, dass ein Gelehrter wie er eine einfache Köchin heiraten würde? Das verbietet ihm sein Stand.«
»Aber träumen darf man doch mal.« Damit reichte Nettel Anneke das Tablett, auf dem der dampfende Krug und zwei Becher standen.
»Pass auf, dass du es nicht fallen lässt. An dem Wein kannst du dich ganz schlimm verbrühen.«
Anneke achtete daraufhin auf den Krug, als wäre er voll roher Eier.
Als sie sich der Stube näherte, hörte sie die beiden Männer reden und blieb
Weitere Kostenlose Bücher