Sturmsegel
anderen zogen angesichts der zusätzlichen Arbeit, die vor ihnen lag, lange Gesichter.
Ingmars Vater wandte sich an seinen Sohn und Anneke. Das, was er zu ihnen sagte, klang nach einem »Kommt mit!«
Wohin sie gingen, wusste das Mädchen nicht. Sie musterte ihren Begleiter verstohlen und bemerkte, dass er den Kopf einzog. Offenbar wusste er schon, was ihnen blühte.
Als sie außer Reichweite der Halle waren, baute sich der Mann vor ihnen auf und wetterte auf Schwedisch los. Ingmar senkte dazu demütig den Kopf und nickte zwischendurch. Anneke fragte sich, ob sie ihm nacheifern sollte, doch offenbar erwartete sein Vater nicht, dass sie nickte. Er richtete die ganze Zeit über seinen Blick auf den Jungen.
Zum Abschluss der Strafpredigt warf er Anneke noch einen Blick zu. War sie jetzt an der Reihe?
Offenbar musste Ingmar ihm doch erzählt haben, dass sie kein Schwedisch verstand, denn im nächsten Augenblick wandte der Mann sich um und strebte wieder den Werkstätten zu.
Ingmar blieb wie ein geprügelter Hund stehen.
»Was hat er gesagt?«, flüsterte Anneke, als sich sein Vater ein Stück weit von ihnen entfernt hatte.
»Er sagte, ich soll dich nach Hause schicken. Und er würde mir von nun an mehr Arbeit geben, damit ich nicht wieder auf die Idee käme, dich überall auf der Werft rumzuführen.«
Anscheinend hatte ihn sein Vater vor den anderen zwar verteidigt, war aber dennoch mit dem Verhalten seines Sohnes nicht einverstanden.
»Aber er hat es dir doch erlaubt. Außerdem haben wir das Unglück nicht verursacht!«
»Das weiß mein Vater und es ist auch nicht der Grund. Er will nur nicht, dass uns etwas passiert.«
»Es werden doch wohl nicht jeden Tag irgendwelche Holzstapel umstürzen«, wandte Anneke ein und bemerkte dann, dass Ingmar sich unruhig nach seinem Vater umschaute. Wahrscheinlich erwartete sein alter Herr, dass er sich schleunigst bei ihm blicken ließ.
»Wenn du magst, komm ruhig weiter her, ich werde sehen, was sich machen lässt. Nur lass dich von meinem Vater besser nicht sehen, sonst darf ich womöglich die Werkstatt nicht verlassen.«
Damit verabschiedete er sich und eilte mit langen Schritten davon.
Anneke sah ihm kurz nach und wandte sich dann in Richtung Holzschuppen. Die Männer schleppten schwer an den Stämmen und gewiss würde es eine Weile dauern, bis sie alle wieder aufgeschichtet und gesichert hatten.
In der nächsten Zeit würde sie wohl vergeblich auf Ingmar warten. Dennoch wollte sie auf ihre Besuche bei der Werft nicht mehr verzichten.
Da der Abend noch fern war, erlaubte sich Anneke erneut einen Gang durch die Stadt. Diesmal ging sie aber nicht zum Markt, sondern strebte dem Königsschloss zu.
Marte hatte einmal behauptet, dass die Fahnen auf den Zinnen nur dann gehisst werden würden, wenn der König anwesend war. Als sie zu den Zinnen von Tre Kronor aufblickte, entdeckte sie einige Banner, doch war das von Gustav Adolph dabei? Würde es auch dann gehisst sein, wenn nur seine Familie im Schloss war? Mit ins Feld würde er sie doch gewiss nicht nehmen.
Sie folgte einer langen Straße und bog schließlich in eine schmalere Gasse ein. Dort drang plötzlich ein Fetzen deutscher Sprache an ihr Ohr.
In einem Torbogen, der zu einem der Häuser gehörte, standen zwei Männer. Derjenige, der ihr den Rücken zuwandte, trug ein dunkles Wams und verbarg sein Haar unter einem Federhut. Der andere stand im Torbogen.
Ob ich ihnen ein Weilchen zuhöre?, fragte sich Anneke neugierig.
Es geschah selten, dass man auf schwedischen Straßen Deutsch hörte. Außerdem hatten die Männer sie nicht bemerkt. Also versteckte sie sich an einer Hauswand und lauschte.
»Das Gerücht, dass Wallenstein schon bald persönlich erscheinen wird, macht dort die Runde«, flüsterte der Schwarzgekleidete seinem Gegenüber zu. »Er soll geschworen haben, die Stadt einzunehmen, selbst wenn sie mit sieben Schlössern und Ketten am Himmel hinge.«
Anneke brauchte nicht lange zu rätseln, welche Stadt gemeint sein könnte.
»Das wird Ihre Majestät zu verhindern wissen«, entgegnete nun der andere Mann. Sein Deutsch war wesentlich schlechter als das des Schwarzgekleideten, aber dennoch zu verstehen. »Nur ist es die Frage, wird man es in der Stadt so lange aushalten?«
Diese Worte beunruhigten das Mädchen. Offenbar stand es schlecht um Stralsund.
Eine nie gekannte Hilflosigkeit erwachte in ihrem Inneren. Sie hätte so gern etwas unternommen, um ihren Stralsunder Mitbürgern, Marte und ihrer
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