Sturmsegel
bemerkte. Und auch Magdalena musste sich mehr um ihr Brautkleid kümmern, als ihre unliebsame Cousine zu verraten.
An diesem Morgen stand die Anprobe des fertigen Kleides an. Anneke wusste noch immer nicht, wann genau die Hochzeit stattfinden sollte, aber lange konnte es nicht mehr dauern.
Ihre Nichte um Hilfe zu bitten, fiel Frieda nicht im Traum ein. Sie könnte ja die teure Seide beschmutzen oder eine Perle aus der Brautkrone brechen!
Anneke war nicht traurig darüber. Und es machte ihr auch nichts aus, wenn sie nicht zur Hochzeit mitgenommen werden würde. Es gab schöneren Zeitvertreib, als von den Freundinnen ihrer Tante verhöhnt und ausgelacht zu werden.
Der Schiffsbauhof zog sie magisch an. Sobald Frieda und ihre Tochter mit den Schneiderinnen im Salon verschwunden waren, schlüpfte sie aus dem Kontor.
Die Sonne schien hell auf Stockholm herab und die drei Kronen am Königsschloss funkelten wie Sterne. Anneke atmete die milde Brise ein, die durch die Stadt zog, und machte sich dann auf den Weg. Wie immer hatte niemand danach gefragt, wohin sie ginge.
Ingmar machte sein Versprechen wahr. Als sie am Tor auftauchte, verschwand er kurz auf dem Werftgelände, um nur wenig später ohne seine Schürze wieder aufzutauchen.
»Bist ja schneller wieder da, als ich gedacht hätte«, neckte er sie.
Anneke errötete erneut. »Du hast ja gar nicht mehr deine Schürze an«, sagte sie, um ihre Verlegenheit zu überspielen. »Hat dein Vater dir heute frei gegeben?«
»Das hat er. Unter der Bedingung, dass ich die Zeit nachhole. Aber das schaffe ich.«
Damit begann er mit der Führung über das Werftgelände. »Das große Gebäude ist die Residenz der Familie Hybertsson, der die Werft gehört«, erklärte er, als sie vor einem hohen und recht prachtvollen Gebäude angekommen waren. »Meister Hybertsson ist im vergangenen Jahr gestorben, jetzt führen sein Bruder und seine Witwe die Geschäfte. Da drüben ist die Werkshalle. Die Männer, die den Blasebalg betreiben, sind Sträflinge, die jeden Morgen hierher gebracht werden. Außerdem haben wir noch eine Bolzenschmiede, eine Schlosserei und die Handwerkerhütten, in denen die Stellmacher, Böttcher, Nagelschmiede und Segelmacher untergebracht sind.«
»Und was ist das für ein Haus?«, fragte Anneke und deutete auf ein Gebäude direkt am Ufer, gleich in der Nähe der Vasa.
»Es heißt Clärkz-Schuppen, benannt nach zwei bekannten Schiffsbauern. Darin lagern Segeltuch und Taue, außerdem Werkzeuge, Pechpfannen und andere Gegenstände. Gleich daneben ist ein Schuppen für Proviant, mit dem das Schiff vor seiner Fahrt ausgerüstet wird.«
»Wann wird die Vasa auf große Fahrt gehen?«
»Wenn nichts dazwischenkommt, schon in ein paar Wochen. Schön wäre es natürlich, wenn der König hier wäre, um das Auslaufen seines Schiffes mitzuerleben, aber ich fürchte, daraus wird nichts. Er ist immer noch in Deutschland und kämpft gegen die katholischen Feldherren.«
Und sorgt hoffentlich auch dafür, dass Wallenstein Stralsund nichts anhaben kann, ging es Anneke durch den Sinn, doch sie sprach es nicht aus.
»Gehen wir zu den Lagerhallen«, schlug er jetzt vor. »Ich wette, du hast noch nie so viel Holz auf einmal gesehen.«
Staunend folgte Anneke ihm zu den großen, scheunenartigen Gebilden, deren riesige Tore wie die Mäuler von Ungeheuern aufklafften. Berge von Holz stapelten sich dort, alles feinsäuberlich auf seine jeweilige Bestimmung zugeschnitten. Vor der Halle türmte sich ein riesiger Berg Baumstämme, die noch auf ihren Zuschnitt warteten. Sägespäne waren über den Boden verstreut und verströmten einen Geruch, der Anneke an den Wald erinnerte, der in der Nähe von Stralsund wuchs.
»Ist das Kiefernholz?«, fragte sie, worauf Ingmar sie staunend ansah.
»Woher weißt du das?«
»Ich rieche es«, antwortete sie und versuchte den Anflug von Heimweh zu unterdrücken, der sie bei dem Holzduft überkam. »Nahe meiner Heimatstadt steht ein Kiefernwäldchen, dort riecht es genauso.«
»Nun, vielleicht solltest du vielleicht doch um eine Anstellung hier bitten.« Ingmar zwinkerte ihr zu. »Eigentlich erkennen nur Männer, die schon viele Jahre mit Holz zu tun haben, die Sorte am Geruch.«
»Ich war in Stralsund immer sehr viel mit meiner Freundin unterwegs«, berichtete Anneke mit vor Verlegenheit flammendroten Wangen. »Damals, als die Kaiserlichen uns noch nicht belagert hatten.«
Plötzlich ertönte ein markerschütterndes Knacken. Als Anneke sich
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