Sturmsegel
will ich mit dir kommen!«, flüsterte sie, denn sie wollte nicht, dass Gitta etwas davon mitbekam.
»Gut, dann erwarte ich dich am Hafen. Das Schiff ist die Santa Lucia.«
»Kann ich da als Mädchen einfach so an Bord gehen oder sollte ich mich besser verkleiden?«, fragte Anneke, denn sie dachte an die Überfahrt hierher und das Verbot, als Mädchen an Bord zu gehen.
Ingmar winkte jedoch ab. »Mein Vater wird dem Kapitän genug Geld geben, damit er seinen Aberglauben vergisst. Für den Fall, dass er wirklich auf eine Verkleidung besteht, nehme ich ein paar Sachen für dich mit.«
Damit drückte er ihr einen Kuss auf den Mund und verschwand dann in die Dunkelheit.
»Was gab es denn?«, fragte Gitta, die nun durch die Tür hinter dem Tresen trat.
Anneke zuckte zusammen. Hatte die Magd gelauscht?
Rasch drückte sie die Tür ins Schloss und wandte sich um.
»Jemand wollte wissen, ob er hier übernachten könne. Ich habe ihn weggeschickt.«
Obwohl ihr die Röte in die Wangen stieg, hoffte Anneke sehr, dass Gitta ihr die Lüge nicht ansah.
Die Magd betrachtete sie ein wenig verwundert, zuckte dann mit den Schultern und wischte sich die Hände in der Schürze ab.
»Lass uns schlafen gehen«, beschied sie. »Was liegen geblieben ist, können wir auch noch morgen erledigen.«
*
Wann die Nacht aufhörte und der neue Tag begann, war in den weißen Nächten schwer zu erkennen. Doch Anneke trug in diesen Stunden scheinbar ein Uhrwerk in ihrem Herzen, das ihr sagte, wann sie aufzubrechen hatte.
Noch bevor die Hähne zu krähen begannen und die Vier-Uhr-Glocke angeschlagen wurde, erhob sie sich von ihrem Strohsack und zog das Bündel unter dem Bett hervor, das sie vor dem Schlafengehen noch rasch zusammengepackt hatte. Das Schiff, das Tjorven ihr geschenkt hatte, lag in den Falten des Bollerstrue-Kleids. Mit beiden Dingen verband sie nicht nur gute Erinnerungen, aber sie gehörten dennoch zu ihrem Leben. Wenn sie ihren Kindern und Enkeln einst die Geschichte von ihrem Aufenthalt in Stockholm erzählte, konnte sie ihnen diese als Beweise vorlegen.
Nach dem Packen hatte sie sich ein letztes Mal auf den Strohsack gelegt, doch Schlaf hatte sie in dieser Nacht nicht finden können.
Zum einen war da die Erinnerung an den Kuss, die sie nicht zur Ruhe kommen ließ, zum anderen die Sorge, was aus ihr und den Svenssons werden sollte, wenn sie denn heil in Dänemark ankamen. Würde es sich der Reichsmarschall gefallen lassen, dass jemand, den er zur Rechenschaft ziehen wollte, einfach floh? Oder würde er Ingmar und seinen Vater auch in einem fremden Land verfolgen lassen?
Darüber solltest du dir Gedanken machen, wenn es so weit ist, sagte sie sich, während sie sich ankleidete und dann ihr Haar zusammenband.
Nachdem sie noch einmal ihren Blick durch die Kammer hatte schweifen lassen, in die sicher bald eine neue Magd einziehen würde, schlich sie zur Tür.
Das Wirtshaus war so ruhig, dass man hören konnte, wie das Holz leise knackte. Auf dem Gang vernahm sie ein Schnarchen. Ob es von Magnus kam oder von Gitta, war ihr egal. Auf Zehenspitzen näherte sie sich der Treppe.
Ein Knarren, das unmöglich von den Balken kommen konnte, ließ sie erstarren. Offenbar war noch jemand auf den Beinen.
Erschrocken drückte sich Anneke in den Schatten und spähte den Gang entlang. War es Magnus, der aus Gittas Kammer schlich? Oder hatte Gitta bemerkt, dass sie aufgestanden war?
Während ihr Herz bang klopfte, erblickte sie schließlich eine weiße Gestalt. In der Hand trug sie eine Laterne, obwohl das Licht ausreichte, um sich im Haus zurechtzufinden.
Es war Inga. In ihrem Nachthemd wirkte sie wie ein Geist.
Hatte sie vor, auf den Abort zu gehen?
Anneke hielt es für besser, noch ein Weilchen zu warten, bis sie vorbei war.
Allerdings strebte Inga nicht der Hintertür zu, sondern dem Schankraum. Was wollte sie dort? Sich etwas Bier holen?
Anneke fragte sich, ob die Hausherrin immer um diese Zeit durch die Schenke schlich. Ihre Bewegungen wirkten sicher, so als sei ihr frühmorgendlicher Spaziergang etwas Selbstverständliches.
An jedem anderen Morgen wäre Anneke wieder in ihre Kammer geschlichen, doch nun musste sie aus der Schenke fort. Ingmar war gewiss schon auf dem Weg zum Hafen und sie wollte das Schiff nicht verpassen.
Also schlich sie Inga hinterher, in der Hoffnung auf eine günstige Gelegenheit, durch die Tür zu schlüpfen.
Zwar war die Wirtin nicht gut auf ihren Mann zu sprechen, würde aber sicher nicht wollen,
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