Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
Vom Netzwerk:
werden dich schon nicht fressen, wenn sie dich sehen«, entgegnete Ingmar grinsend. »Wenn du willst, begleite ich dich nach oben.«
    »Aber du weißt nicht, ob das dem Kapitän recht wäre«, gab sie zurück. »Er hat uns nicht umsonst hierhergeschickt.«
    »Gegen einen kleinen Spaziergang an Deck wird er sicher nichts einzuwenden haben.« Damit legte Svensson seine Schnitzarbeit beiseite und bedeutete ihnen, mitzukommen.
    Das Deck war frisch geschrubbt, wie man an dem Seifengeruch erkennen konnte. Die Matrosen, die nicht zum Segeln benötigt wurden, saßen an Deck und reparierten Taue und Segeltuch. Der Kapitän stand an der Reling und blickte mit einem Fernglas auf das Wasser. Anneke hätte zu gern gewusst, was er zu sehen hoffte.
    Die frische Brise tat ihr gut und vertrieb die Trägheit aus ihren Gliedern. Schon nach zwei Tagen unter Deck hatte sie die frische Luft schmerzlich vermisst. Es machte ihr nichts aus, mit Ingmar und seinem Vater in dem engen Raum zu sein, dennoch blieb es nicht aus, dass sie sich angesichts gewisser Dinge unwohl fühlte.
    Ihre Notdurft konnte sie nur auf einem Nachttopf verrichten, dessen Inhalt sie durch das Fenster schüttete. Das Essen wurde ihnen vom Smutje gebracht, der immer dann, wenn er es ihr reichte, schmierig grinste. Nachts wurde sie manchmal von Schritten geweckt und zuweilen hatte sie das Gefühl, dass jemand in ihre Kajüte kam und sie im Schlaf beobachtete.
    Doch all diese Misslichkeiten waren vergessen, als sie den Wind und die Sonne auf der Haut spüren konnte.
    Eine Weile stand sie nur da und vergaß über den Anblick des Himmels und der Segel, die unter ihm flatterten, alles um sich herum. Fast war es, als sei sie wieder in Stralsund, im Hafen, wo sie all die Segel betrachten konnte.
    »Rote Wolken!«, rief plötzlich eine gequälte Männerstimme.
    Anneke senkte ihren Blick und sah nun einen Mann an den Wanten lehnen. Er war älter als Hendrick Svensson, wie man an dem grauem Bart und der wettergegerbten Haut erkennen konnte. Ein Ohrring schimmerte an seinem rechten Ohr und über dem linken Auge hatte er eine Narbe, die sich fast bis zur Nase hinzog. Was immer ihn dort verletzt hatte, hatte auch seine Sehkraft genommen.
    Mit dem gesunden Auge starrte er das Mädchen an, während das andere, von einem milchigen Film überzogen, hin und her zuckte.
    Anneke erschauderte, konnte aber nicht anders, als seinen Blick zu erwidern, obwohl sie lieber kehrtgemacht und zurück in ihre Kabine gerannt wäre.
    »Was starrst du so, Mädchen?«, fragte er schließlich. »Wunderst dich über mein Auge, wie? Hab es einem Piraten geben müssen. Der ist nicht gut damit umgesprungen, glaub mir.«
    Diese Worte verwunderten Anneke zunächst ein wenig, dann verstand sie, was er meinte.
    Sie wollte ihm antworten, doch da fuhr der Alte bereits mit seinem seltsamen Singsang fort.
    »Rote Wolken hat es heute Morgen gegeben. Und eine Frau ist an Bord. Wir sind dem Untergang geweiht, Jungs, betet zum Klabautermann, der uns holen wird!«
    »Hört nicht auf ihn!«, bemerkte der Kapitän, der hinter sie getreten war. Anneke entging nicht, dass er den anderen Männern in seiner Nähe einen warnenden Blick zuwarf. »Der alte Jonas sieht manchmal Gespenster.«
    Aber ich bin doch kein Gespenst, ging es Anneke durch den Kopf und ihr wurde noch unbehaglicher zumute.
    Auf einmal hatte sie das Gefühl, dass sämtliche Seeleute sie wieder anstarrten. Diesmal nicht lüstern, wie an jenem Morgen, als sie auf das Schiff kamen. Nein, jetzt blickten sie furchtsam und besorgt.
    »Geht wieder auf eure Posten!«, fuhr sie der Kapitän an.
    Als er Anneke ansah, lief ein eisiger Schauer über ihren Rücken. Auch seine Miene war nicht frei von Angst. Nur wusste er sie besser zu beherrschen.
    »Geht am besten wieder in die Kabine, Fräulein, ich möchte nicht, dass Euch Jonas' Geschwätz weiter beunruhigt«, sagte er ruhig und um Freundlichkeit bemüht. So eindringlich, wie seine Worte klangen, hatte sie aber wohl keine andere Wahl, als seiner Aufforderung nachzukommen.
    Allerdings war ihr klar, dass es nicht darum ging, dass sie nicht geängstigt werden sollte. Sie blickte kurz zu Ingmar, der ihr mit einem Nicken bedeutete, dass er mitkommen würde.
    Dann kehrte sie zu ihrem Quartier zurück und fühlte sich dabei weiterhin den stechenden Blicken der Seemänner ausgesetzt.
    Hoffentlich liegt diese Fahrt bald hinter uns, dachte sie, als sich die Tür hinter ihnen schloss. Wenn ich erst einmal wieder in Stralsund bin,

Weitere Kostenlose Bücher