Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmsommer

Sturmsommer

Titel: Sturmsommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
da. Ich habe dann noch schnell ein paar Übungsaufgaben gemacht - allerdings mithilfe von Lissis Taschenrechner.
    Und jetzt sitze ich hier und kann keine einzige Aufgabe. Blackout. Ich weiß fast nichts mehr. Habe ich es jemals gewusst? Dabei kann ich doch Frau Schilfer, unsere Mathelehrerin, gut leiden. Ich will nicht, dass sie sauer reagiert, ehrlich. Wenn ich sie hassen würde, wäre das alles, glaube ich, nicht so schlimm. Beim Klanke ist mir eine Vier egal. Bei ihr nicht. Es klingelt. Jetzt schon?!
    »So, abgeben! Tom, du auch.«
    Ich habe zwar bei der Hälfte der Aufgaben was hingeschrieben, aber ob das richtig ist? Eine Lösung kam nirgends raus. Wenigstens habe ich ein bisschen was gerechnet. Vielleicht wird’s trotzdem noch eine Drei. Kann ja sein.
    »Ihr bekommt die Arbeit wahrscheinlich morgen schon zurück - ich beeile mich, versprochen!«
    O nein, nicht morgen. Da ist doch der Ausritt mit der Reitschulgruppe geplant und abends wollten wir gemeinsam neben dem Reitplatz grillen. Wenn ich eine schlechte Note habe, darf ich bestimmt nicht mit.
    Der letzte Ausritt war richtig cool. Wir sind ohne Ziel einfach querfeldein Richtung Berge geritten und abends stand Nebel über den Feldern. Die Bergspitzen glühten rosa, als wir mitten auf einer Wiese anhielten und still auf den Horizont blickten. Niemand wollte etwas sagen, nicht mal ich.
    Ich glaube, ohne die Berge könnte ich nicht leben. Wir sind so weit geritten, dass ich Lindau gar nicht mehr sehen konnte. Und nie werde ich vergessen, wie wir im Jagdgalopp durch die Dämmerung zurückgeprescht sind. Ich hätte schreien können. Da fühlt man sich so frei und leicht, frei wie ein Vogel. Aber das ist ein Junge mit 14 Jahren leider nicht.
    Jetzt kriegen wir tatsächlich heute schon die Arbeit zurück. So was Blödes. Ich habe richtig Schiss. Hoffentlich ist es keine Fünf. Eine Fünf ist blamabel. Sagt Papa. Eine Vier würde man immer schaffen, meint er. Er freut sich nicht über eine Vier, aber er macht auch keinen Ärger deshalb. Eine Fünf ist »indiskutabel«. Dazu wäre ich zu schlau. Aber er weiß ja nicht, wie Schule heute so ist. Ach verdammt, ich hab auch wirklich nichts gelernt.
    Frau Schilfer schreibt den Notenspiegel an die Tafel. Ich versuche, nicht hinzusehen. Zum Glück macht sie das alles nicht so öffentlich wie der Klanke. Sie gibt jedem die Arbeit einzeln zurück und sagt ein paar Worte dazu - immer leise, vor allem dann, wenn das Ergebnis nicht so toll ist. Das hört dann nur der Banknachbar.
    Nun ist sie in der Reihe vor uns. »Ausgezeichnet, Tanja«, strahlt sie. »Nicht ein einziger Fehler.« Toni schnaubt durch die Nase, und auch ein paar andere Klassenkameraden mustern Tanja, die ihre Arbeit schnell in den Ranzen steckt, als könne sie jemand klauen. Warum lächelt sie nicht einmal? Ich kann das nicht verstehen. Das ist ungerecht. Die kriegt gute Noten und tut so, als wäre das eine Nebensache. Warum sind dann im Gegenzug schlechte Noten immer so eine Tragödie? Aber Tanja hat ja keine Ahnung, wie das ist. Sie ist sogar im Sport gut. Normalerweise würde ich jetzt irgendeine Bemerkung machen, doch mir fällt nichts ein. Meine Hände kleben vor Schweiß und mir ist ganz flau im Magen.
    Frau Schilfer kommt auf mich zu und ich traue mich nicht, ihr ins Gesicht zu sehen. Ich hab das Gefühl, alle starren mich an. Tun sie das wirklich?
    »Thomas, du musst unbedingt mehr lernen«, höre ich Frau Schilfers besorgte Stimme und versuche, locker zu grinsen. Aber es gelingt mir nicht. »Vielleicht probierst du es mal mit Nachhilfeunterricht. Junge, tu was! Das kann so nicht weitergehen.«
    Nun blicke ich doch nach oben. Sie guckt mich so komisch an. Was ist denn los? Ich will es wissen! Bitte. Sie legt mir die Arbeit hin. Ich schau drauf. Mir wird ganz schwindlig und in meinen Ohren und Schläfen pulsiert das Blut. Alles dreht sich. Aber in mir ist es ganz leer. Ich fühle mich richtig dumm. Es ist eine glatte Sechs.
    Ich starre auf das Blatt, sehen tu ich aber nichts mehr. Wenn eine Fünf indiskutabel ist, was ist dann eine Sechs? Und was bedeutet das für Damos?
    Toni legt mir seine Hand auf die Schulter. Unwillig schüttle ich sie ab.
    »Mensch, Tom, das ist doch nicht so schlimm. He, du bist ja weiß wie die Wand! Komm, wir haben jetzt Sport, da vergisst du den ganzen Stuss! Es hat schon geklingelt.«
    Habe ich nicht mitgekriegt. Ich stecke die Arbeit in den Rucksack, als wäre es nicht meine, und habe das Gefühl, dringend meine Hände

Weitere Kostenlose Bücher