Sturmsommer
Sobald ich mich da raufgeschwungen habe, sieht die Welt ganz anders aus. Aufregender und irgendwie freier. Klar hat mir am Anfang der Hintern wehgetan. Und das, was mir mein Reitlehrer Markus so an den Kopf geworfen hat, war auch nicht immer nett. Das ist es heute oft noch nicht. Aber nach den Reitstunden hab ich immer das Gefühl, dass alles möglich ist. Erst recht, seitdem ich Damos habe.
Nur meine Klassenkameraden haben ein bisschen seltsam auf Damos reagiert. Zumindest die Jungs. Toni kann auch nichts mit ihm anfangen. Leider. Ich hab ihn immer wieder mit zum Stall geschleppt, aber er steht dann da rum wie eine Vogelscheuche und traut sich nicht, mit anzupacken. Und schon gar nicht, sich auf ein Pferd zu setzen. Ich glaube sogar, er hat Angst vor Damos.
Die Mädchen fanden es eher toll, dass ich reite und sogar ein eigenes Pferd habe. Nachdem sich herumgesprochen hatte, dass Damos mir gehört, wollten sie furchtbar viel darüber wissen und plötzlich in den Pausen Zeit mit mir verbringen. Nur Tanja ist still danebengestanden und hat sich abgewendet. Ihr Gesicht war rot und verschlossen gewesen. Ihre Freundin Barbara blieb schweigend neben ihr, linste nur ab und zu prüfend zu mir herüber. Ich wollte ja gar nicht, dass sich die Mädels so um mich scharten. Es hat ein paar Tage gedauert, bis alles wieder normal war und ich meine Pausen wie vorher mit Toni, Marc und Anja verbringen konnte.
Aber dass Tanja so gar nichts dazu gesagt hat, fand ich auch blöd. Na, egal. Ich kann sie ohnehin nicht leiden. Sie lacht fast nie und sieht alles immer so ernst und verbissen.
An dem einen Tag, als mich die Mädels wegen Damos ausgefragt haben und Tanja nur stumm danebenstand, kam Barbara später noch alleine zu mir rüber. Es war eine merkwürdige Situation, weil Tanja ein paar Meter weiter mit abgewandtem Kopf an der Wand lehnte und wartete. Es sah fast so aus, als hätte sie ihre Freundin zu mir geschickt. Das war mir richtig unangenehm und ich wäre am liebsten einfach weggelaufen. Mir ging das sowieso auf den Keks, dass dauernd irgendwelche Mädchen um mich herumlungerten. Doch Barbara wollte gar kein Foto von Damos sehen wie die anderen Mädchen - oder fragen, ob sie mich mal im Stall besuchen kann. »Ihr scheint ja echt reich zu sein«, sagte sie nur und schaute mich dabei prüfend an. »Sind deine Eltern Bonzen, oder was?«
Ich zuckte nur mit den Schultern und ließ sie stehen. Beim Weggehen hab ich gehört, dass die beiden tuschelten. Was sollte denn die Frage? Und so ein Pferd frisst ganz schön viel Zeit. Einfach ist das jedenfalls nicht. Ich muss mich dauernd um Damos kümmern, eigentlich täglich. Das kann richtig anstrengend sein, vor allem im Winter, wenn sogar das Wasser in der Tränke eine dicke Eisschicht hat und ich vor lauter Kälte meine Hände und Füße nicht mehr spüre. Auch wenn ich es jedes Mal kaum erwarten kann, ihn zu sehen. Ganz egal, wie das Wetter ist.
Ich weiß nicht, worauf Barbara hinauswollte. Aber Papa lässt auch immer wieder durchklingen, dass wir froh sein sollen,wie gut es uns geht. Hätten ja alles: Haus, Auto, Urlaub, Pferd.
Ich finde den Mercedes hässlich.
»Mama?«
»Ja?«
Mama sitzt in der Küche und bemalt Tücher. Dabei darf sie die Tücher nicht mehr im Haus aufhängen. Papa sind es zu viele geworden. Es sei ein Haus und kein Beduinenzelt, hat er gesagt. Aber die Tücher sind schön, wirklich. Mit ganz viel Blau und Grün. Ich muss immer an das Meer denken, wenn ich sie betrachte. Eigentlich erkennt man nichts, und trotzdem - ich mag Mamas Tücher. Sie tauscht jetzt die, die schon hängen, einfach durch neue aus. Papa merkt das manchmal gar nicht.
»Ich fahr schnell noch zu Damos!«, rufe ich ihr zu. Henri schiebt seinen Kopf zwischen meine Beine und wedelt aufgeregt mit dem Schwanz.
»Hast du auch Musik gelernt?«
Mist.
»Na jaaa … ja.« Ich hab es immerhin versucht, denke ich. »Geht so.« Pause.
»Na, dann geh halt, wenn es unbedingt sein muss. Und nimm den Hund mit.«
Es muss. Was für eine Frage! Natürlich muss es sein. Ich ziehe mich um, schmeiße Jeans und Turnschuhe in die nächstgelegene Ecke und flitze hinunter Richtung Haustür. Henri springt aufgeregt um mich herum und er schafft es nicht ganz, das Freudengebell zu unterdrücken.
Als ich nach unten gehe, überholt er mich und kommt dabei fast ins Schleudern. Henri hat es immer eilig. Auf der halben Treppe bleibe ich kurz stehen. Da hängt nämlich ein großer ovaler Spiegel an der Wand. Ein
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