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Sturmsommer

Sturmsommer

Titel: Sturmsommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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waschen zu müssen. Mensch, eine Sechs. Meine erste. Und das noch in einem Hauptfach. O Gott, was wird Mama sagen? Und was wird mit Damos …?
    Ich laufe träge über den Sportplatz zur Umkleidekabine, wie in Trance. Ständig schlägt mir die Tasche gegen die Beine, und ich muss aufpassen, dass ich nicht stolpere. Toni redet die ganze Zeit beruhigend auf mich ein, aber ich verstehe nicht, was er sagt. Ich sehe immer nur die Note vor mir und dann Damos. Eine Sechs. Das darf einfach nicht sein. Das kann ich nie zu Hause erzählen. Ich muss das irgendwie rückgängig machen.
    Ich ziehe mich um und gehe mit weichen Knien auf die rote Aschenbahn. Laufen. Ich muss laufen. Obwohl ich immer noch nicht klar denken kann und alles vor meinen Augen zu wackeln und zu tanzen scheint, fange ich sofort an zu rennen, als unser Lehrer das Signal zum Warmlaufen gibt. Ich überhole die anderen und positioniere mich ganz vorne. Laufen ist etwas, das ich wirklich kann. Reiten zählt ja in der Schule nicht. Das interessiert hier niemanden.
    Aber jetzt kann ich etwas wettmachen. Vielleicht vergessen die anderen dann, dass ihr Klassensprecher ‘ne Sechs in Mathe geschrieben hat. Vielleicht vergesse ich es sogar selbst. Mir ist schwindlig und mein Herz klopft so sehr, dass es beinahe wehtut in der Brust. Jeder Schritt hallt in meinem Kopf nach.
    Aber wenn ich laufe, muss ich nicht nachdenken.
    »Tom, Achtung, halt mal an«, höre ich meinen Lehrer rufen.
    Nein. Ich halte jetzt nicht an. Ganz bestimmt nicht. Ich bin vorne, ich hab alle abgehängt. Ich möchte noch ein bisschen hierbleiben. Ich laufe schneller, obwohl mein Atmen zum Keuchen wird. Nur nicht stehen bleiben.
    »Tom! Stopp!«
    Dann ist auf einmal alles schwarz.

SCHULKRANK
    Mir ist so heiß. Wo bin ich denn? Zu Hause? Ich habe die Augen geschlossen, es scheinen Gewichte auf meine Lider zu drücken. Mein Kopf dröhnt. Zum Kotzen schlecht ist mir auch. Nur mit Mühe öffne ich die Augen.
    Erkennen kann ich kaum etwas. Alles verläuft ineinander. Doch, da, da ist eine Frau, in Weiß, eine - eine Krankenschwester? Kann das sein? Das Zimmer, das ist nicht bei uns zu Hause. Nein. Das ist fremd. Die Decke ist so hoch und der Geruch beißt in meiner Nase. Da ist niemand, den ich kenne. Hinter mir tickt und surrt etwas. Wo sind Mama, Papa und Lissi?
    »Er ist wieder bei Bewusstsein«, höre ich eine Stimme. Da sind noch mehr Stimmen und Gestalten, ich kann ihre Gesichter nicht erkennen. Alles ist verschwommen und wackelt. Etwas brennt und pocht auf meiner Stirn, es tut so weh.
    Eine der weißen Gestalten beugt sich über mich und lächelt mich an. Kurz wird ihr Gesicht klar. Ich kenne sie nicht.
    »Was ist? Wo bin ich?« Mein Mund ist trocken und ich bekomme die Lippen nicht richtig auseinander.
    »Du hast eine Platzwunde und eine Gehirnerschütterung. Du bist beim Sport gestürzt. Du musst jetzt erst mal im Krankenhaus bleiben. Wahrscheinlich kannst du dich an nichts mehr erinnern. Das ist normal, keine Angst«, sagt sie leise.
    Ich denke krampfhaft nach. Heute Morgen, da war ich doch noch in der Schule, und dann - die Sechs! Die Sechs in Mathe! Ich erschrecke furchtbar. Wissen es meine Eltern vielleicht noch gar nicht? Oder doch? Und wie bin ich hierhergekommen?
    Ich will mich aufrichten, doch die Gestalten drücken mich sofort zurück ins Kissen. Ich kann mich nicht dagegen wehren. »Sch… seht.« Ich fühle mich so schwach, das Blut in meinen Schläfen rauscht und tut mir weh dabei. Ich kann nichts mehr sehen, höre aber wieder die Stimme der Krankenschwester.
    »Gleich kommen deine Eltern. Wenn etwas ist, dann drück auf den Knopf neben deinem Bett. Wir schauen immer wieder nach dir.« Mir wird schwarz vor den Augen.
    Nun ist Lissi da. Auch sie sieht verschwommen aus, wie Mama und Papa vorhin, aber ich erkenne ihre blauen Augen und ihr Wallehaar.
    »Hallo«, sage ich ganz leise.
    »Da hast du ja wieder was angestellt.« Sie traut sich kaum, laut zu sprechen. Mir tut auch wirklich jedes Wort weh. »Du hast mir richtig Angst eingejagt«, flüstert sie.
    »Ich hätte einfach mehr lernen sollen, ich weiß auch nicht, es tut mir…«
    »Hey Tom, doch nicht wegen der Schule, sondern wegen deinem Kopf, du Dummerchen.«
    Aus der Infusion tropft es lautlos in meinen blassen Unterarm.
    »Ich dachte, ich hätte dir beigebracht, wie man Schuhe bindet.«
    Ich versuche zu lächeln. Ich kann mich nicht daran erinnern, wie ich gestürzt bin. Auch nicht daran, wie man mich abgeholt hat. »Tom!

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