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Sturmtief

Titel: Sturmtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nygaard
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eintreten.
    Es passte zu Schleswig-Holstein, dass der Raum zwar
großzügig und repräsentativ, aber dennoch von einer bescheidenen Sachlichkeit
war. Eine Sitzgruppe lud Besucher ein, der Schreibtisch war zwar groß, aber
nicht protzig. Hinter dem Schreibtisch thronte der erste Mann des Landes. Er
sah auf, als Lüder eintrat, legte seinen Kugelschreiber mit spitzen Fingern auf
den Schreibtisch, erhob sich, umrundete seinen Arbeitsplatz und kam Lüder mit
gestreckter Hand entgegen.
    »Herr Dr. Lüders«, begrüßte er ihn mit seiner
wohlklingenden sonoren Stimme. »Schön, dass Sie so schnell Zeit gefunden haben,
zu mir zu kommen.« Er wies auf die Sitzgruppe. »Nehmen Sie bitte Platz.«
    Lüder war erstaunt, dass ihn der Ministerpräsident mit
dem neuen akademischen Grad ansprach. Woher wusste er, dass Lüder promoviert
hatte? Das widersprach der landläufigen Meinung, der Regierungschef sei selten
über die Dinge in seinem Land informiert und würde sich nur für Volksfeste
interessieren. Böse Zungen behaupteten gar, Schleswig-Holstein sei das einzige
Bundesland mit einem Ministerpräsidenten, der sich nicht für Politik
interessiere. Das war sicher auch vom politischen Gegner forciert worden, der
das Konsensstreben des Politikers als Führungsschwäche ausgab. Ein
Regierungschef wurde nie von allen Menschen geschätzt, sein Handeln nicht von
jedem gutgeheißen. Lüder schätzte die menschliche und volkstümliche Art, die er
in der Zeit der Zusammenarbeit kennengelernt hatte.
    Der Ministerpräsident öffnete kurz die Tür zum
Vorzimmer und bat um Kaffee »und das ganze Gedröhn drum rum«, wie er sich
ausdrückte. Dann nahm er schräg von Lüder in der Sitzgruppe Platz. Er fuhr sich
mit der Hand durch seinen weißen gepflegten Bart, sein Markenzeichen.
    »Ich überlege, ob ich den Chef der Staatskanzlei
dazubitte«, sagte er mehr zu sich selbst, entschied dann aber, mit Lüder unter
vier Augen zu sprechen.
    »Während unserer gemeinsamen Zeit habe ich Ihre Art,
die übernommenen Aufgaben auszuführen, ebenso zu schätzen gewusst wie Ihre
Diskretion. Es verwundert Sie sicher nicht, wenn ich meinen Stabschef
beauftragt habe, ein paar Erkundigungen über Sie einzuziehen.«
    Der Ministerpräsident zupfte mit spitzen Fingern an
der tadellosen Bügelfalte seiner dunkelgrauen Hose, nachdem er die Beine
übereinandergeschlagen hatte. Lüder sah kurz auf die sanft wippende Fußspitze.
    »Sie gelten als Spezialist für schwierige Fälle. Ich
habe mich natürlich nicht mit den Details beschäftigt, habe aber einen
Überblick über die großen Zusammenhänge. Man hat mir souffliert, dass Sie sich
mit Zähigkeit und unter Zurückstellung eigener Interessen dem Wohl unseres
Landes verpflichtet fühlen.«
    Lüder überlegte kurz, ob dies ein geeigneter Moment
wäre, dem Regierungschef von den ganzen Hindernissen und Schwierigkeiten zu
berichten, die man ihm immer wieder bereitete, weil er in manchen Fällen auch
Dinge ans Tageslicht brachte, die nicht jedem genehm waren.
    »Ich werde mich natürlich nicht in die
Ermittlungsarbeit der unabhängigen Justiz einmischen«, fuhr der
Ministerpräsident fort. »Und als Polizei sind Sie das Hilfsorgan der
Staatsanwaltschaft. Deshalb halte ich mich aus den Dingen raus, die manchmal
auch unangenehm sind.«
    Damit hatte Lüder eine Antwort auf die nicht gestellte
Frage erhalten. Er war sich nicht sicher, ob der Regierungschef wirklich als
Demokrat gesprochen hatte oder ob es eine Geste des »Händewaschens in Unschuld«
war, wie sie weiland Pilatus gepflegt hatte.
    »Wir können stolz sein auf die Entwicklung der
Bundesrepublik seit dem Kriegsende. Aus einer jungen ist eine gefestigte
Demokratie geworden. Ein Bestandteil unseres Systems ist die Transparenz«, fuhr
der Ministerpräsident fort. »Und die wird durch eine freie Presse
gewährleistet. Deshalb rüttelt es an den Grundfesten unseres Landes, wenn
perfide und feige Mordanschläge auf die Meinungsfreiheit durchgeführt werden.«
Der Regierungschef klopfte mit dem Zeigefinger auf die Platte des kleinen
Tisches vor sich. »Das können und wollen wir nicht dulden.«
    Lüder hatte den ersten Mann des Landes von oben bis
unten betrachtet. Die weißen Haare, der runde massige Kopf, der gepflegte Bart
… Der Adamsapfel sprang aufgeregt auf und ab, während der Ministerpräsident
sprach. Dabei bewegte sich die korrekt geknotete und überaus dezente Krawatte
über dem blütenweißen Hemdkragen vor und zurück.
    Sie wurden durch eine der

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