Sturmtief
ausgedehnten Waldflächen
entlang der Straße, nachdem er die Autobahn verlassen hatte. Die zwischen Elbe
und Geest in der Metropolregion Hamburg liegende rege Stadt war der größte
Nuklear- und Energiestandort Norddeutschlands. Manche behaupteten auch, sie sei
die reichste Gemeinde des Landes. Doch Lüder erinnerte sich gelesen zu haben,
dass sich in jüngster Zeit nicht zuletzt durch den Stillstand des
Atomkraftwerks die Finanzkraft der Stadt dramatisch zurückentwickelt hatte.
Die Tankstelle war eine von dreien, die an der
Ausfallstraße angesiedelt waren. Hier benötigte er mehr Überredungskunst, um
den Tankstellenpächter zu überzeugen, mit ihm die Aufzeichnungen der
Überwachungskameras durchzusehen. Aufgrund der präzisen Zeitangaben aus dem
Tankbeleg fanden sie schnell die Stelle. Deutlich war Robert Havenstein zu
erkennen. Allerdings wurde Lüder enttäuscht. Der Journalist war ohne Begleitung
mit seinem Audi unterwegs gewesen.
Lüder zeigte dem Pächter Hannah Eisenbergs Bild. »Ist
Ihnen diese Frau schon einmal aufgefallen?«
Der Mann sah gar nicht erst auf die Fotografie.
Stattdessen zeigte er nach draußen. »Sie sehen selbst, was hier los ist. Das
ist ein Stoßgeschäft. Da können Sie sich keine einzelnen Kunden merken, schon
gar nicht, wenn es keine Stammkunden sind. Auf so etwas achten wir auch nicht.«
Wahrscheinlich stimmte das, dachte Lüder und fuhr Richtung Lauenburg.
Wer die Geest, die der Stadt den Namen gab, nicht
kennt, wundert sich, dass die Straße steil bergan führt. Am Ende der Steigung
bog Lüder rechts ab, folgte der wieder zur Elbe hinabführenden Straße, die am
Hafen und am Freizeitbad endete. Auf der Elbuferstraße herrschte reger Verkehr.
Ein einsames Industriegleis begleitete den Weg. Kurz darauf endete die Bebauung
und wich einem bewaldeten Hang. Nach einem knappen Kilometer tauchten die
gewaltigen grün gestrichenen Rohre auf, die das etwa neunzig Meter höher im
Stausee gespeicherte Wasser ablassen und damit jene Turbinen antreiben, die
noch heute zur Abdeckung von Spitzenlasten und zur Stabilisierung der Stromversorgung
dienen.
Wenig später tauchte ein schlichtes Gebäude auf, das
auf den ersten Blick einer überdimensionalen Wellblechhütte ähnelte, wäre nicht
der große Schornstein gewesen. Auch der Dreifachzaun mit dem Kiesstreifen und
den Warnschildern »Hochspannung« an der mittleren Sicherung unterschied die
Anlage von anderen Einrichtungen.
Das also war das Atomkraftwerk Krümmel, dessen Name in
ganz Deutschland bekannt war. Die Erwähnung des gleichnamigen Ortsteils
Geesthacht hatte schon immer einen Beigeschmack, der sensiblen Naturen einen
Schauder über den Rücken jagte. Hier befand sich die Sprengstofffabrik von
Alfred Nobel. An dieser Stelle erfand er das Dynamit. Bis zum Ende des Zweiten
Weltkriegs wurde hier in großem Umfang Sprengstoff produziert. Das auf dem
Areal errichtete Atomkraftwerk bietet heute nicht weniger Sprengstoff, dachte
Lüder mit einem Anflug von Sarkasmus. Steckte womöglich so viel Sprengstoff
dahinter, dass der Journalist Havenstein auf eine Mine getreten war, die ihn
das Leben gekostet hatte?
Eine Hinweistafel führte Lüder zum Besucherparkplatz,
der bergan auf einer Anhöhe des Geestrückens lag.
Er betrat das Empfangsgebäude durch eine Drehtür und
fand sich bei den Pförtnern wieder, die hinter Panzerglas residierten.
Obwohl Lüder sich als Polizist ausgewiesen hatte,
musste er so lange warten, bis ihn jemand abholte. Zuvor hatte man ihm den
Personalausweis abgenommen und ihn fotografiert. Er bekam einen Besucherausweis
im Scheckkartenformat, auf dem die Warnsignale für den Notfall und die dann
geltenden Verhaltensregeln abgebildet waren. Er folgte einer Frau, die sich als
Assistentin des Kraftwerkleiters vorgestellt hatte. Der Fußweg zum rechts neben
der Pförtnerloge direkt am Zaun liegenden blau gehaltenen Verwaltungsgebäude
war kurz. Seine Begleiterin führte ihn in ein Büro in der ersten Etage.
Lüders Geduld wurde auf eine längere Probe gestellt.
Nach eineinhalb Stunden Wartezeit, in der eine freundliche Mitarbeiterin ihn
mit Kaffee versorgt hatte, bekam er Zutritt zum Büro des Kraftwerkleiters.
Herwig von Sohl trat entschlossen auf. Der zu leichter Fülle neigende Mann mit
dem silbergrauen Haarkranz, der eine glänzende Glatze umschloss, kam Lüder
entgegen, begrüßte ihn mit einem kräftigen Händedruck und bat ihn in sein Büro.
Sie nahmen in der Besucherecke Platz. Von Sohl zupfte
an der
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