Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sturmtief

Titel: Sturmtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nygaard
Vom Netzwerk:
Bügelfalte seiner Hose und zog sie am Knie ein wenig in die Höhe. Das
schützt im Zweifelsfall auch nicht vor Knitterfalten, dachte Lüder, da der
Kraftwerksleiter gleichzeitig die Beine übereinanderschlug.
    »Herr Dr. Lüders – Sie kommen von der Polizei?« Von
Sohl zog leicht eine Augenbraue in die Höhe. Dabei wackelte seine Hornbrille
ein wenig auf der fleischigen Nase.
    »Landeskriminalamt«, sagte Lüder. »Kennen Sie Robert
Havenstein?«
    »Den Journalisten?« Von Sohl nickte versonnen.
»Sicher. Ein guter Mann. Ich habe mit Bewunderung viele seiner Reportagen
gesehen und gelesen. Auch zwei seiner beeindruckenden Bücher«, schob der
Kraftwerksleiter hinterher.
    »Hat Robert Havenstein mit Ihnen gesprochen?«
    Kein Muskel zuckte im schwammigen Gesicht des Mannes.
»Ja«, gab von Sohl umgehend zu. »Zuletzt in der vergangenen Woche.« Dann schien
ihm eine Idee zu kommen. »Geht es um die Ermordung Havensteins?«
    »Wir ermitteln in viele Richtungen«, wich Lüder aus.
»Worüber haben Sie gesprochen?«
    Von Sohl lehnte sich zurück und legte seine gefalteten
Hände gelassen in den Schoß. »Alles, was derzeit mit dem Begriff ›Krümmel‹ in
irgendeinem Zusammenhang stehen könnte – könnte «, betonte von Sohl und
unterstrich das Wort dadurch, dass er mahnend seinen Zeigefinger erhob, »findet
ungeteilte Aufmerksamkeit in den Medien. Da wird viel mehr geschrieben, als
sich tatsächlich ereignet.« Der Kraftwerksleiter seufzte tief. »Sie haben keine
Vorstellung, was alles in Sachen hineininterpretiert wird, die eigentlich
keiner Erwähnung wert sind.«
    »Tatsache ist aber, dass es Störfälle gegeben hat.
Nicht umsonst gibt es lange Ausfallzeiten gerade dieses Kraftwerks.«
    »Sicher. Vielleicht war es ungeschickt, dass man
manches nicht sofort publiziert hat. Doch darüber möchte ich nicht richten. Das
ist nicht unter meiner Ägide geschehen.«
    Lüder musterte von Sohl, der mit der flachen Hand über
die dezente gelb gemusterte Krawatte fuhr, die hervorragend zu seinem grauen
Anzug passte. »Sie wollten mir erzählen, worüber Sie mit Robert Havenstein
gesprochen haben.«
    »Er hatte Fragen zu Krümmel, zur Sicherheit, zur
Technik, zur Zukunft.«
    »Auch zu dem vermeintlichen Zusammenhang mit den
Leukämiefällen?«
    Von Sohl breitete die Hände aus und hielt die
Handflächen nach oben. »Das bleibt nicht aus, dass ein kritischer Journalist
auch dieses Thema anschneidet.«
    »Was haben Sie ihm geantwortet?«
    »Das, was jeder weiß, manche Unverbesserlichen aber
nicht wahrhaben wollen. Unsere hochentwickelte Zivilisation benötigt Energie.
Sehen Sie sich doch einmal um. Wohin Sie schauen – Strom. Niemand macht sich
Gedanken darüber, aber wenn wir wirklich einmal einen Ausfall haben, was selten
genug vorkommt, ist das Geschrei groß. Überall geht das Licht aus. Der Verkehr
bricht zusammen, die Geschäfte müssen ihren Verkauf einstellen, die
Tiefkühltruhen tauen auf und, was die Menschen am meisten verdrießt, sie können
nicht fernsehen. Nichts geht mehr.«
    »Und dafür sorgen Sie mit Atomstrom?«
    »Ja«, antwortete von Sohl prompt. »Das ist die
billigste und sauberste Art der Stromerzeugung. Beim Gas sind wir vom
Wohlwollen osteuropäischer Lieferanten abhängig. Nehmen Sie das Beispiel der
Ukraine. Denen haben die Russen kurz entschlossen den Gashahn zugedreht. Wollen
Sie auf fossile Energie zurückgreifen? Wer hinterfragt, wie viel Kohlendioxid
dort in die Luft geblasen wird? Auch moderne Kohlekraftwerke belasten die
Atmosphäre mit unglaublichen Emissionen.« Von Sohl legte dezent drei Finger
gegen die Stirn. »Fragen Sie die Menschen in Nordfriesland und in Ostholstein,
was die davon halten, dass man eine Pipeline aus dem Ruhrgebiet bauen will, um
das CO 2 unter die
Gärten der Nordfriesen zu blasen. Sie wissen um die Aufregung, die allein diese
Idee verbreitet hat. Niemand kann die Folgen einschätzen.«
    »Und das ist bei einem Atomkraftwerk anders?«
    Von Sohl nickte eifrig. »Sicher. Diese Technologie
haben wir im Griff.«
    »In jeder Konsequenz?«
    Erneut nickte der Kraftwerksleiter. Dann winkte er ab.
»Ich weiß, was jetzt kommt. Die ganze Litanei wie das Problem der Endlagerung,
Störfälle wie Tschernobyl, Three Mile Island oder Sellafield.«
    »In Three Mile Island kam es zur Kernschmelze«, warf
Lüder ein, »von Tschernobyl ganz zu schweigen.«
    Jetzt zeigte von Sohl ein fast überlegenes Lächeln.
»Genau das ist es. Worüber regen wir uns auf, wenn wir über

Weitere Kostenlose Bücher