Sturmtief
sind eine begnadete Physikerin.«
Jetzt herrschte Schweigen in der Leitung.
»Können Sie mir etwas zur Technik von Atomkraftwerken
sagen? So, dass auch ein Jurist es versteht.«
»Krümmel?«, fragte sie zurück. Und als Lüder es
bestätigte, wandte sie ein: »Das hat nichts mit Physik oder Jurisprudenz zu
tun. Das ist Allgemeinwissen.«
»Daran mangelt es mir. Im Unterschied zu Ihnen.«
»Schön.« Frau Dr. Braun atmete hörbar aus. »Krümmel
ist der größte Siedewasserreaktor der Welt. Wissen Sie, was das ist – ein
Siedewasserreaktor?«
Als Lüder schwieg, seufzte sie auf. »Gut, dann erkläre
ich es mit einfachen Worten, dass auch Juristen es verstehen. Sie müssen es
sich wie einen großen Tauchsieder vorstellen. Das Herzstück der Anlage ist der
Reaktordruckbehälter, in dem die Brennstäbe angesiedelt sind. Diese sind
schwach angereichert, mit drei bis vier Prozent Uran. Die Brennstäbe werden nun
– sehr bildlich gesprochen – zu einer Atomexplosion gebracht.«
»Das klingt sehr gefährlich, fast wie eine Atombombe«,
unterbrach Lüder sie.
Frau Dr. Braun ließ ein gurrendes Lachen hören. Für
Lüder war es eine Premiere. Er hätte der stets streng auftretenden
Wissenschaftlerin keine Heiterkeit zugetraut.
»Das Uran, das Sie für Bomben benötigen, ist über
fünfundneunzig Prozent angereichert. Also: Wenn der Reaktor angefahren wird, so
nennt man das, erhitzt er das Wasser, in dem die Brennstäbe schwimmen. Es
entsteht Wasserdampf, der eine Turbine antreibt. In diesem Punkt unterscheidet
sich die Technik nicht von Kohle- oder Gaskraftwerken, nur das man hier zum
Heizen Atomkraft verwendet. Es handelt sich im Prinzip um eine übergroße und
sehr effiziente Dampfmaschine.«
»Das ist doch radioaktiv«, warf Lüder ein.
»Richtig. Das Wasser und der erzeugte Dampf sind
radioaktiv. Deshalb darf auch nichts aus diesem geschlossenen Kreislauf
austreten. Das wäre schlimm. Der Dampf, nachdem er die Turbinen angetrieben
hat, muss wieder gekühlt werden. Das geschieht durch das Elbwasser. Der Dampf
…«
»Der radioaktive«, warf Lüder ein.
»Genau der«, bestätigte Frau Dr. Braun, »läuft durch
eine Kühlschlange. Die Fachleute sprechen von Kondensator. Sie müssen es sich
wie eine Heizung mit Rippen vorstellen, die von Wasser umspült wird. Dadurch
wird die Wärme an das Kühlwasser abgegeben, das wiederum in die Elbe
zurückfließt.«
»Dadurch wird der Fluss wärmer«, sagte Lüder.
»Auch das stimmt. Und für diesen Tatbestand kassiert
der Finanzminister in Kiel jährlich einen Millionenbetrag.«
Dann wundert es mich nicht, dachte Lüder, dass es im
Stillen ein Interesse daran gibt, das Kraftwerk in Betrieb zu halten. Die
Landeskassen sind leer. Da könnte es stören, wenn jemand kritische Berichte
über Krümmel in die Öffentlichkeit trägt.
»Was ist, wenn der radioaktive Dampf austritt?«,
fragte Lüder.
Frau Dr. Braun zögerte einen Moment. »Das wäre
schlimm. So etwas ist in Harrisburg geschehen. Wenn Radioaktivität in der Luft
ist, können Sie sie nicht wieder einfangen. Aber dafür gibt es zahlreiche
Sicherheitssysteme. Der Druckbehälter selbst ist mit einer meterdicken
Betonummantelung abgeschirmt. Diese wiederum umgibt eine doppelwandige
Stahlkugel, der Sicherheitsbehälter. Und das Reaktorgebäude selbst ist ein
weiterer Schutzmantel. Man hat sehr viel für die Sicherheit getan.«
»Und trotzdem gibt es den Leukämiecluster Elbmarsch,
die vermehrte Häufigkeit an Erkrankungen rund um das Atomkraftwerk Krümmel.
Könnte es in der Vergangenheit ein Leck gegeben haben?«
»Ich möchte mich nicht an den Spekulationen
beteiligen«, wich Frau Dr. Braun aus. »Unbestreitbar ist, dass diese
Erkrankungen seit 1986 gehäuft auftreten.«
»Was könnte Robert Havenstein entdeckt haben?«
»Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten«,
gestand die Wissenschaftlerin.
»Vielen Dank. Sie haben mir sehr geholfen.«
Lüder war erstaunt, dass die Leiterin der
Kriminaltechnik diesmal auf das Hohelied der permanenten Arbeitsüberlastung
ihrer Mitarbeiter verzichtete.
Er suchte die Telefonnummer von Albert Völlering
heraus und rief in Niebüll an.
»Jetzt bin ich überrascht«, sagte der Aktivist der
Bürgerinitiative. »Was will die Kriminalpolizei von mir?«
»Das würde ich gern persönlich mit Ihnen besprechen«,
sagte Lüder. »Wo kann ich Sie in Niebüll erreichen?«
»Ich habe mein Büro in einem Ladengeschäft in der
Hauptstraße, mitten im Stadtzentrum. Ach so.
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