Sturmtief
befürchten, dass die Frau sich von den Folgen nie wieder erholen wird.«
»Gibt es weitere Neuigkeiten?«, fragte Lüder.
»Wir verfolgen zahlreiche Spuren. Natürlich haben sich
viele Leute gemeldet. Darunter sind jene, die mit Sicherheit ihren Nachbarn auf
dem Fahndungsfoto erkannt haben, andere, die glauben, den Täter schon einmal
gesehen zu haben, sich aber nicht mehr erinnern können, wo und in welchem
Zusammenhang das war. Es ist wie immer – eine verwertbare Spur ist noch nicht
darunter.«
Obwohl es noch Sommerzeit war, begleitete die lange
Dämmerung Lüder auf der Rückfahrt ins heimische Kiel.
Die Frau in gelben Gummistiefeln, der aufgeplusterten
Hose und dem kunstvoll gebundenen Kopftuch, unter dem die grauen Locken
vorwitzig hervorlugten, fasste sich ans Kreuz, als sie sich aufrichtete. Dann
trat sie an den Zaun, der ihren Vorgarten von Lüders Grundstück trennte.
»Ach, Herr Dr. Lüders«, begrüßte sie ihn. »Das ist
aber schön, dass Sie so früh Feierabend machen können. Da wird sich Ihre
Familie aber freuen.«
»’n Abend, Frau Mönckhagen«, erwiderte Lüder den Gruß
der Nachbarin.
Die ältere Dame beugte das Rückgrat durch, wodurch ihr
kräftiger Busen noch deutlicher zur Wirkung kam. »Es ist beschwerlich für eine
alte Frau, den ganzen Tag im Garten zu arbeiten.«
»Sie sind doch noch eine junge Dame«, sagte Lüder.
»Ach, Sie Schmeichler.« Sie kam noch ein Stück näher
und senkte die Stimme, als hätte sie Lüder konspirativ Neuigkeiten zu
verkünden.
»Ich habe Sie heute in der Zeitung gesehen. Mit Foto.
Stimmt es, dass Sie den Mörder noch nicht gefasst haben? Woran liegt es denn?
Ist das so schwierig? Sie haben doch das Bild. Das müssen die Nachbarn von
diesem Scheusal doch erkennen.« Frau Mönckhagen schüttelte den Kopf. »Das
verstehe ich nicht. Aber«, dabei zeigte sie mit dem Finger, der in
Haushaltshandschuhen aus Gummi steckte, auf Lüder, »warum haben die von der
Zeitung so einen schwarzen Balken über Ihr Gesicht gemacht? Das tun die doch
sonst nur bei Verbrechern? Ich verstehe das nicht. Wenn ich nicht meine Brille
aufgesetzt hätte, dann hätte ich Sie gar nicht erkannt.«
Lüder ging nicht auf Frau Mönckhagens Fragen ein,
wünschte der alten Dame einen schönen Abend und begab sich ins Haus. Wenn
selbst die betagte Nachbarin Lüder in der Zeitung erkannt hatte, würden andere,
die an seiner Identität interessiert wären, viel schneller auf ihn stoßen
können. Leif Stefan Dittert hatte Lüder mit diesem Artikel einen Bärendienst
erwiesen.
Wie so oft kam ihm Sinje als Erste entgegen. Doch
statt des »Hallo, Papi« ließ sie nur ein schrilles und erschrecktes »Nein,
nicht« hören. Jonas war ihr dicht auf den Fersen. Der Junge ignorierte Lüder
und versuchte, Sinje etwas zu entreißen, was die Kleine in den Händen hielt.
Dabei fiel etwas, das einem Handy ähnelte, direkt vor Lüders Füße. Lüder war
schneller als Jonas, der hastig zugreifen wollte.
»Was ist das?«, fragte Lüder und besah sich das Gerät
mit dem kleinen Bildschirm und einer Art Bedienungsring darunter.
»Ein Eierdings«, sagte Sinje und streckte ihre kleine
Hand danach aus.
»Ein iPod, du Blödmann«, fauchte sie Jonas an.
»Wenn schon, dann Blödfrau«, belehrte ihn Lüder. »Auch
junge Damen haben Anspruch auf die Emanzipation. Aber so etwas sagt man nicht.
Nicht in unserer Familie.« Er besah sich das Gerät. »Nun wollen wir zunächst
die Besitzansprüche klären.«
»Das ist meiner«, sagte Jonas und versuchte Lüder das
Gerät aus der Hand zu nehmen. Doch der hielt es hoch über den Kopf.
»Wo hast du das her?«
»Das ist meiner«, beharrte Jonas trotzig, ohne auf
Lüders Frage zu antworten.
»Ich kann mich nicht erinnern, dass du so ein Gerät
besitzt.«
»Das ist neu.«
»Seit wann?«
»Heute.«
»Und? Hast du im Lotto gewonnen?«
»So was Blödes.«
Lüder musste erneut nachfragen.
»Thorolf hat auch einen iPod«, erwiderte Jonas als
Begründung. »Auch neu.«
»Aha«, sagte Lüder. »Also eine Gewinngemeinschaft.«
»Quatsch. Die haben wir geschenkt bekommen. Nach der
Schule. Auf dem Nachhauseweg.«
»Von der guten Fee?«
»Von einem Mann. Der hat uns angesprochen, ob wir die
Lüders-Kinder wären. Als wir ja gesagt haben, hat er uns die Dinger geschenkt.«
»Und ihr nehmt die an. Einfach so, ohne euch zu
fragen, warum jemand solche Wohltaten verbreitet?«
»Ich wollte schon immer so ein Ding haben. Und Thorolf
auch. Aber wir haben ja keins
Weitere Kostenlose Bücher