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Sturmtief

Titel: Sturmtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nygaard
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Gewohnheit, selbst
wenn die anderen Geschäfte in der Fußgängerzone Oldenburgs später ihre Türen
aufschlossen. Die Bäckerei und die Fleischerei, die am ehesten frühe Kunden
anlockten, lagen weiter oben in der Straße, näher zum Markplatz hin.
    Hier gab es eine bunte Auswahl an Geschäften, die auch
zum Bummeln einluden oder den nicht täglichen Bedarf deckten. In der
gegenüberliegenden Woolworth-Filiale regte sich noch nichts. Beim Nachbarn zur
Linken mochte so früh am Morgen auch noch niemand Eis oder Crêpes genießen. Und
das Café auf der anderen Seite würde auch erst später die ersten Gäste
anlocken.
    Schon von Weitem sah Groß die Gestalt, die direkt vor
der doppelflügeligen Eingangstür seines Geschäftes saß und den Kopf gegen eines
der Schaufenster gelehnt hatte, die wie Erker vorgebaut waren und zum Bummeln
einluden.
    Groß spürte Zorn in sich aufkeimen. Oldenburg war eine
überschaubare Kleinstadt mit einer weitgehend intakten und homogenen
Bevölkerungsstruktur. Hier gab es selten Probleme mit Herumlungernden. Und die
örtliche Polizei war mit dem Präventionspreis für die Bemühungen im Kampf gegen
die Jugendkriminalität ausgezeichnet worden. Das hinderte aber einen Streuner
nicht, sich ausgerechnet vor Groß’ Laden niederzulassen und seinen Rausch
auszuschlafen.
    Beim Näherkommen sah Groß, dass der Mann keine
Habseligkeiten mit sich führte. Es war folglich kein Obdachloser, der einen
Schlafplatz für die Nacht gesucht hatte. Dafür war der Standort auch
ungeeignet.
    Es hatte in der Nacht zu regnen begonnen, und wenn das
Vordach auch einen dürftigen Schutz bot, so war der Platz nicht windgeschützt.
Außerdem sah der Mann nicht ungepflegt aus. Er war mit einer Stoffhose und
einem Sakko bekleidet, unter dem er einen Rollkragenpullover trug. Auf dessen
Kragen hatte sich ein hässlicher dunkler Fleck gebildet. Doch das schreckte
Groß weniger. Er hatte sich hinabgebeugt, um den Mann wach zu rütteln und von
diesem Platz zu verscheuchen.
    Mitten in der Bewegung hielt Groß inne und starrte
gebannt in die offenen Augen, die durch ihn hindurchzusehen schienen. Sie waren
in die Ferne gerichtet, in eine unendliche Ferne. Starr und leblos zogen diese
Augen Groß’ Blick magisch an. Dann wanderte sein Blick weiter, als würde er das
Gesicht des Fremden abscannen und sich jedes Detail für immer einprägen wollen.
Es war die Magie des Schreckens, die Groß bewegungslos machte.
    Über der Nasenwurzel hatte sich ein dünner Blutfaden
den Weg abwärts gesucht, hatte sich an der Augeninnenseite geteilt und einen
Teil seiner Last an das Auge abgegeben. Der Rest war an der Nase
weitergewandert, wie ein unregelmäßig gezogener Strich, hatte einen Bogen um
den Nasenflügel gemacht, war über die Lippen gelaufen und dann auf den Kragen
getropft.
    Ausgangspunkt dieses Blutfadens war ein dunkles, fast
schwarzes Loch, das direkt über der Nasenwurzel das Zentrum der Stirn des
Mannes bildete.
    Die dunklen Haare und der ebenfalls für
nordeuropäische Breitengrade zu dunkle Teint ließen auf einen südländischen Typ
schließen.
    Ein eiskalter Schauder lief über Groß’ Rücken. Der
Mann, der den Eingang zur Buchhandlung blockierte, war brutal erschossen
worden.
    Mit zittrigen Fingern wühlte Groß das Handy aus seiner
Tasche und wählte die Notrufnummer.
    »Polizei.«
    »Groß, Oldenburg. Hier, vor meiner Buchhandlung in der
Kuhtorstraße, da liegt ein Toter.«
    * * *
    Lüder hatte Edith Beyer lange angesehen, als er am
Montagmorgen in das Geschäftszimmer der Abteilung gekommen war und sich seinen
obligatorischen Becher Kaffee abgeholt hatte.
    »Hatten Sie ein schönes Wochenende?«, hatte er
unverfänglich gefragt, nachdem die junge Frau seinen Gruß kaum erwidert hatte.
    Für einen kurzen Moment war er versucht, nach Gründen
zu suchen, die in seiner Person liegen könnten. Als er aber feststellte, dass
auch der Kaffee anders schmeckte als gewohnt, vermutete er, dass Edith Beyer
persönliche Probleme mit sich herumtrug. Er fragte nicht nach, sondern zog sich
diskret in sein Büro zurück.
    Mit spitzen Fingern schlug er die Boulevardzeitung
auf, die in großen Buchstaben von einem erneuten Zwischenfall im
»Skandalreaktor Krümmel« berichtete. Lüder las, dass sich dort erneut eine
»Explosion« aus unbekanntem Grund ereignet hätte. Der Autor des Berichts ließ
keine Vermutung aus. Nach seiner Meinung war es der »unfähigen Polizei« noch
nicht gelungen, herauszufinden, ob der Anschlag eine

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