Sturmwarnung
Großteil davon
hoffnungslos abwegig –, um die ganze Vergangenheit auf der Grundlage eines so
genannten »wörtlichen« Bibelverständnisses neu zu bewerten.
Häufig stand
die Sintflut im Zentrum solcher mehr oder weniger seriösen Studien. In einigen
davon ist behauptet worden, die Überreste der Arche Noahs seien kürzlich auf
einem Berg in der Türkei gefunden worden. In diesem Zusammenhang haben neulich
Dr. Walter Pitman und Dr. William Ryan nachgewiesen, dass das Schwarze Meer in
der Zeit, mit der wir uns in diesem Buch befassen, plötzlich und völlig
unerwartet über seine Ufer trat. In ihrem Buch, Noah’s Flood, vertreten
sie sehr plausibel und nachvollziehbar die These, dass die antiken Legenden
über eine Flut von einem tatsächlichen Geschehen herrühren müssen, vor dem wohl
Tausende aus einem ursprünglich fruchtbaren Tal flohen und buchstäblich um ihr
nacktes Leben rannten.
Die Autoren zeigen darüber
hinaus auf, dass die mündliche Tradition vor dem Gebrauch des geschriebenen
Wortes einen enorm hohen Stellenwert gehabt haben muss. Ausgehend von der
Tatsache, dass die alten Epen über Generationen hinweg von den Eltern an die
Kinder weitergereicht und auswendig gelernt wurden, vermuten sie, dass die
Inhalte der Mythen durch die Jahrtausende original erhalten blieben. Dafür
spricht zum Beispiel, dass türkische Geschichtenerzähler heute noch historisch
belegte Sagen aus der entfernten Vergangenheit wie das Gilgamesch-Epos so
rezitieren, wie es auf den Tafeln festgehalten wurde.
Weiter
besteht ein interessanter Zusammenhang zwischen alten Mythen, den die
Wissenschaft bisher zu wenig erforscht hat. Hier sind zwei rühmliche Ausnahmen
zu nennen: Parallel Myths von J. F. Bierlein, in dem Mythologien der
gesamten Welt miteinander verglichen werden, und Die Mühle des Hamlet.
Beide Werke
zeigen, dass Mythen nicht ausschließlich bestimmten Kulturen zuzuordnen sind,
selbst wenn diese räumlich weit auseinander liegen. Genau genommen spiegeln die
Mythen der Welt gemeinsame Erfahrungen der Menschheit wider.
Die Völker
der Erde verbindet eine große Reihe zeitloser Geschichten. Dazu gehören der
Mythos von der Erschaffung des Menschen, die Vorstellung vom Fall des Menschen,
die Geschichte von der Reise eines Helden durch die Unteroder die Totenwelt und
– am weitesten verbreitet – der Mythos von der großen Flut.
Das Schwarze
Meer mag durchaus ein realer Schauplatz dieser Geschichte gewesen sein. Aber es
war bei weitem nicht der einzige. Vielmehr zeichnet sich in jedem dieser Mythen
das Bild einer Welt ab, die von einer Katastrophe heimgesucht wurde, die
allumfassenden Regen und eine globale Überschwemmung mit sich brachte.
Es ist zu
bezweifeln, dass die Inkas, die Crée, die Algonquin, die Mojave-Apachen, die
Tschokta und viele andere nordamerikanischen Indianervölker je von der
biblischen Flut gehört hatten. Und doch kennen sie alle Mythen über
unerklärlich steigendes Wasser und einen Helden, der die Menschen auf die eine
oder andere Weise rettet. Ein Teil dieser Mythen wurde erst im neunzehnten
Jahrhundert gesammelt und könnte deshalb durch die Bibel beeinflusst worden
sein. Aber die archetypischen Sagen der Indianer stammen eindeutig aus einer
Zeit, in der noch kein Kontakt mit Europa bestand.
Auch der Flut-Mythos der
Azteken folgt dem Muster aller anderen Sagen der Welt: Die Menschen wurden so
schlecht, dass die Götter die ganze Welt mit Regen überschwemmten. Nur ein Paar
wurde verschont. Der Mann mit Namen Nena wurde angewiesen, ein Boot zu bauen,
und gehorchte. Anders als Noah, der ein Günstling Jahves war, reizte Nena die
Götter der Azteken, und weil diese ohnehin weit strenger als der Gott der Juden
waren, verwandelten sie Nena in einen Hund. Nach der Flut war die Erde dann
eine Tabula rasa, auf der die Götter alles neu schufen.
Wie die
Geschichte von Noah und so vielen anderen Gestalten bringt auch der Mythos der
Inkas die Flut mit den göttlichen Mächten in Verbindung, wertet sie als deren
Reaktion auf die Verderbtheit der Menschen in einer Zeit unzähliger Kriege und
der Barbarei. Natürlich geben die Mythen im allgemeinen den Opfern die Schuld
an Naturkatastrophen. Genauso berechtigt ist aber auch die Auslegung, dass das
allen diesen Geschichten gemeinsame Grundmuster – ein Held, der die Bosheit der
Welt von sich weist und das Tierreich und eine Hand voll Menschen rettet – eine
Erinnerung an eine vergangene soziale Weltordnung darstellen könnte, die durch
genau die
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