Sturmwelten 01
überrollen würden wie eine Flutwelle.
»Wir müssen Cearls Kontrolle über das Schiff festigen. Dazu brauchen wir die Unterstützung der anderen Offiziere: vor allem die Cuddens, aber auch die Tabards, Sellishers und Grofertons. Wir müssen korrekt auf mögliche Anschuldigungen reagieren und den Vorfall mit Bestimmtheit als den Unfall darstellen, der er war.«
»Gut, gut«, stimmte ihr Cearl bei, doch er wirkte geistesabwesend. Die Bürde des Kommandos war an ihn gefallen, aber Roxane bezweifelte, dass er in seiner derzeitigen Verfassung in der Lage war, die Verantwortung auf sich zu nehmen. Seine Schultern hingen herab, seine Hände nestelten unablässig an den Knöpfen seiner Uniform herum. Roxane konnte sehen, wie die Schuld an ihm nagte.
»Wir müssen umkehren«, stellte Aella nun fest, und Roxane war geneigt, ihr zu zustimmen. Doch Cearl sprang heftig protestierend auf: »Umkehren? Sind Sie wahnsinnig, Thay?«
»Was?«, entgegnete Aella wütend und plusterte sich auf. »Was soll das?«
Bedächtig setzte sich Cearl wieder hin und strich sich erneut die faltenlose Uniform glatt.
»Ich bitte um Verzeihung«, erklärte er steif. »Das war nicht angemessen.«
»Ja, schon gut«, erwiderte Aella sichtlich verärgert.
»Was ich sagen wollte, ist, dass wir nicht umkehren können. Unsere einzige Hoffnung liegt darin, erfolgreich zu sein.«
»Erfolgreich?«
»Wenn wir als Verlierer zurückfahren, als, verzeihen Sie mir den Ausdruck, Hunde mit eingekniffenem Schwanz, dann wird man uns als unfähige Offiziere betrachten, womöglich als Meuterer. Nein, wir müssen die Mission fortsetzen und sie mit Erfolg beenden!«
Nachdenklich blickte Roxane den Ersten Offizier an. Etwas Farbe war in sein Antlitz zurückgekehrt, und seine Stimme klang weniger mutlos.
»Es ist in der Tat schwierig, gegen Erfolg zu argumentieren«, pflichtete sie ihm bei. »Sollten wir mit dem schwarzen Sturmweltenfahrer im Schlepptau heimkehren, wären wir erst einmal Helden.«
»Denken Sie an Harfell«, fuhr Roxane fort, als sie Aellas skeptischen Gesichtsausdruck bemerkte. »Er war … Ich meine: Er ist unkonventionell, und dennoch wird ihm vieles verziehen, solange er erfolgreich ist. Oder was ist mit Admiral Thyrane?«
»Der Seewolf? Was hat er damit zu tun?«
»Er war ein Radikaler, ist es vermutlich immer noch. Hat sein Leben lang gegen die Macht des Adels und die Korruption bei der Vergabe von Ämtern gekämpft. Er soll selbst als einfacher Kapitän laut, unhöflich und selbstverliebt gewesen sein, aber all das wurde und wird ihm vergeben, weil er stets unter günstigen Winden gesegelt ist. Er war erfolgreicher als alle anderen Kapitäne seiner Zeit, und deshalb konnte er sich auch mehr erlauben als jeder einzelne von ihnen.«
»Was ist mit Kapitän Harfell?«, fragte Aella unsicher. »Was ist, wenn er sich erinnert?«
»Das liegt nicht in unserer Hand. Wir können nur tun, was nötig und richtig ist. Haben Sie schon einen Blick in die Befehle geworfen, Cearl?«, fragte Roxane, um Aella von ihren Sorgen abzulenken.
»Sie sind nur wenig spezifischer als das, was wir bereits wussten. Es gilt, das richtige Schiff aufzubringen und die Ladung nach Lessan zu schaffen. Oder es im Notfall zu versenken. Vermutlich ein Schmuggler oder dergleichen. Einzig verwirrend ist die Anweisung, im Zweifelsfall auch Gewalt gegen thaynrische Schiffe einzusetzen, wenn es der Mission dienlich ist. Diese gesonderte Erwähnung ließ mich stutzen.«
Roxane hörte nur mit halbem Ohr zu, da sie bereits auf die Karte blickte. Harfell hatte einen Kurs gewählt, der den vermutlichen Weg des schwarzen Sturmweltenfahrers kreuzen würde, und er hatte geplant, zwischen den Inseln zu kreuzen und die wahrscheinlichsten Passagen so gut es ging zu überwachen. Dennoch war es eine große Fläche, die sie kontrollieren mussten, und ein einzelnes Schiff konnte gut durch die weiten Maschen ihres Netzes schlüpfen. Es gab fast ein halbes Dutzend als sicher geltende Passagen zwischen den Inseln und ungezählte unsichere.
»Die Strategie des Kapitäns ist nicht schlecht«, erklärte sie, als in ihrem Kopf langsam ein Plan Gestalt annahm. »Aber zu unsicher. Ich würde vorschlagen, dass wir einige der kleinen Häfen anlaufen und die örtlichen Fischer und Händler befragen. Sturmweltenfahrer sollten in diesen Breiten eher selten sein, und vielleicht bekommen wir einen Hinweis auf das Schiff und können seine Spur verfolgen.«
»Das ist eine brillante Idee«, erklärte Cearl
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