Sturmwelten 01
hatte?
»Sie waren doch sofort am Fundort, Hoare. Es war niemand dort.«
»Doch, Sie!«
»Gemeinsam mit dem Zweiten Offizier! Zur Zeit des Schusses waren wir in Begleitung zweier Marinesoldaten! Wollen Sie allen Ernstes behaupten, dass wir etwas mit der Sache zu tun haben?«
»Sie waren vorher unten im Laderaum!«
Jetzt war die Anschuldigung heraus und hing drohend in der Luft. Schnell kalkulierte Roxane, wie weit wohl die Unterkunft der Marinesoldaten entfernt war; nicht mehr als vierzig oder fünfzig Fuß mochten es sein. Nah genug, um sie zu hören, wenn sie rief, aber zu weit entfernt, um ihr zu helfen, falls die Seeleute sie angriffen.
»Hüten Sie Ihre Zunge, Mann! Es ist kaum ein Verbrechen, die persönlichen Vorräte zu kontrollieren, Hoare. Außerdem haben Sie mich vor dem Schuss gesehen, auf dem Geschützdeck, gemeinsam mit Leutnant Hugham. Wir haben angeordnet, dass alle Seeleute an Deck gehen. Erinnern Sie sich?«
Ihre selbstbewusste Erwiderung brachte Hoare aus dem Konzept, doch umgeben von seinen Kumpanen, gab er so schnell nicht auf.
»Und Leutnant Frewelling?«
»Der kam mit Ihnen herab, bei der Einheit!«
»Aber er war schon auf der Treppe. Und niemand hat ihn an Deck gesehen!«
»Seemann Hoare, dieser Unsinn endet augenblicklich! Sie denken doch nicht, dass ich oder ein anderer Offizier sich vor Ihnen rechtfertigen muss?«, brüllte Roxane fast, wohl wissend, dass sie es bereits getan hatte. »Ein weiteres Wort gegen den kommandieren Offizier, und Sie verbringen den Rest der Reise in der Brig, habe ich mich klar ausgedrückt?«
Sie starrte dem Mann direkt ins Gesicht, und endlich griff die Disziplin, die jeder Schiffsbesatzung im Dienste Ihrer Majestät von Beginn an jeden Tag eingehämmert wurde. Hoare nahm seine Mütze vom Kopf, drehte sie in den Händen und senkte die Augen. Dann murmelte er: »Aye, aye, Thay.«
Roxane fühlte mehr, als dass sie sah, dass seine Kameraden von ihm abrückten. Da fuhr sie versöhnlicher fort: »Sehen Sie, der Vorfall beschäftigt uns alle. Und unsere Gedanken sind bei dem Kapitän. Aber es hat keinen Sinn, jetzt durch haltlose Vermutungen die Mantikor in noch größere Schwierigkeiten zu bringen. Wir haben einen Auftrag, den wir erfüllen müssen. Und wir müssen zur Einheit beten, dass der Kapitän überlebt und wieder die Führung übernimmt. Ich habe den Caserdote bereits gebeten, sobald wie möglich eine Messe zu lesen.«
Die eindringlichen Worte zeigten Wirkung. Jedenfalls wurde die Atmosphäre mit einem Schlag weniger bedrohlich, und Roxane richtete sich auf und nahm die Schultern nach hinten.
»Haben Sie noch Fragen, Seemann Hoare?«
»Nein, Thay.«
»Gut«, entgegnete die junge Offizierin ruhig und schritt an ihm vorbei. Die Menge machte ihr bereitwillig Platz und blieb schlussendlich hinter ihr zurück. Roxane atmete ruhig und ging gemessenen Schrittes, doch ihr Herz schlug ihr wortwörtlich bis zum Halse; sie konnte die Schläge in ihrer Kehle spüren. Für den Moment sind sie überzeugt, dachte sie grimmig, aber Hoare wird noch Ärger machen. Er hat einen Verdacht, und der Kerl ist schlimmer als eine Ratte.
Endlich erreichte sie das Lazarett, vor dem Cudden eine seiner Soldatinnen positioniert hatte. Stumm nickte Roxane ihr zu und trat dann ein. Die Schiffsärztin war nicht anwesend, aber der Caserdote kniete neben der Koje des Kapitäns und betete leise. Da sie das Gebet nicht stören wollte, verharrte Roxane an der Tür. Ein kurzer Blick zeigte ihr, dass Tola schlief. Das Mädchen hatte das Buch im Arm, welches Roxane ihr gegeben hatte, und ihr friedlicher Gesichtsausdruck brachte die junge Offizierin zum Lächeln. Es war lange her, dass sie jemanden gesehen hatte, der ruhig schlief.
Auch Harfell hatte die Augen geschlossen, doch der Kapitän atmete schnell und flach, und seine Lider zuckten. Sein dürrer Oberkörper lag teilweise frei, und man sah die Verbände, die um seine Brust gewickelt waren. Ein dunkler, roter Fleck zeichnete sich knapp unterhalb des Brustbeins ab, dort wo die Kugel eingedrungen sein musste. Harfell wirkte selbst bewusstlos wie ein Getriebener.
Sosehr sie sich auch bemühte, es fiel Roxane schwer, Mitleid mit ihm zu empfinden. Vielleicht war sie zu erschöpft, doch der einzige klare Gedanke, den sie fassen konnte, war der, dass es besser für alle gewesen wäre, wenn er sein Leben im Laderaum ausgehaucht hätte.
JAQUENTO
»Du kannst dich ruhig amüsieren. Wir haben genug Zeit.«
Zweifelnd blickte Jaquento
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