Sturmwelten 01
besseres Essen. Dafür, dass du nicht mehr in die Mine musst. Erzähl mir nichts von müssen. Du Verräter!«
Jetzt öffneten sich seine Lider. Seine dunklen Augen blickten sie an.
»Nenn es, wie du willst. Es war die einzige Entscheidung, die ich treffen konnte. Ich habe versucht, es zu verhindern. Ich habe mit allen geredet, aber sie haben sich alle blenden lassen. Ich musste es tun. Ich musste!«
Aus seinem Mund klangen die Worte wie eine Beschwörungsformel. Als wolle er die Wahrheit mit ihrer Kraft herbeirufen und an sich binden. Aber Sinao sah die Schuld in seinen Augen, hörte sie in seiner Stimme, roch sie in seinem Atem. Er dünstete sie aus, sein ganzes Wesen war mit ihr getränkt. Sie betrachtete ihn, während er sich wieder zurücklegte und die Augen schloss. Er starb. Daran gab es keinen Zweifel. Seine Haut war über seine Knochen gespannt und wirkte dabei doch zu groß für seinen dürren Leib. Sein röchelnder Atem kündete vom nahenden Tod. Gegen ihren Willen empfand Sinao plötzlich Mitleid mit dem alten Mann. Seine Schmerzen waren ihm deutlich anzusehen, und für einen Moment fragte sie sich, ob er tatsächlich glaubte, was er ihr erzählt hatte. Dann machte sie ihr Herz hart und erhob sich. Soll er sterben. Sollen die Ahnen ihn voller Zorn empfangen. Soll er in der nächsten Welt allein sein und für immer die Missachtung der Geister spüren.
Die Soldaten kamen wenig später, und fast glaubte Sinao, dass sie nun auch geholt werden würde. Vielleicht hatte Majagua unter der Folter geredet, vielleicht hatte er alles und sogar sie preisgegeben.
Doch sie wurden alle gerufen, selbst Dagüey, der kaum allein gehen konnte. Die beiden Soldaten brachten sie aus dem Fort hinaus, wo alle anderen Sklaven versammelt waren. Sinao musste schlucken, als die Schatten auf sie fielen. Sie dachte an Hayuya und all die anderen, die hier den Tod gefunden hatten.
Dann kam Tangye aus dem Tor, und hinter ihm schleppten die Aufseher Majagua. Er sah schlimm aus, und Sinao biss sich auf die Lippen, um nicht laut vor Qual zu schreien. Striemen bedeckten seinen Leib, eines seiner Augen war zugeschwollen, und verkrustetes Blut verklebte sein Gesicht. Als die Blassnasen ihn losließen, stürzte er einfach zu Boden, ohne sich abzustützen, und blieb regungslos liegen.
»Übersetz für mich«, befahl Tangye, und Sinao wollte schon trotzig den Kopf schütteln, als sie sah, dass er mit Dagüey gesprochen hatte. Der Alte nickte nur stumm.
»Ich weiß, dass dieser hier eine Flucht geplant hat. Und ich weiß, dass einige von euch an diesen schlimmen, schlimmen Plänen beteiligt sind. Vielleicht weiß ich noch nicht alles darüber, aber ihr könnt mir glauben: Ich werde alles herausfinden!«
Natürlich antwortete ihm niemand. Alle blickten angestrengt zu Boden, keiner wollte Tangyes Aufmerksamkeit auf sich lenken.
»Er wird reden. Das ist sicher. Schon bald wird er reden. Und dann werden wir diesen Sumpf von Aufsässigkeit ein für alle Mal trockenlegen!«
Auf einen Wink hin zerrten die Aufseher Majagua in die Mitte der Sklaven und schlangen Seile um seine Hand- und Fußgelenke. Dann schlugen sie mit langen Hämmern vier Pflöcke in die Erde und banden die Seile so fest daran, dass Majagua mit gespreizten Armen und Beinen über dem Boden zu schweben schien. Er ließ alles wie willenlos mit sich geschehen.
»Er wird reden«, wiederholte Tangye und wandte sich ab.
Mit viel Geschrei trieben die Soldaten die Sklaven aus dem Lager wieder den Hang hinab, und Bara flüsterte Sinao im Vorübergehen zu: »Er wird niemals reden. Er hat das Herz eines Kriegers.«
Dann wurde Sinao, obwohl sie bei Majagua bleiben wollte, mit den anderen Küchensklaven in das Fort zurückgebracht. Ein letzter Blick über die Schulter zeigte ihr den Liebsten, wie er ohne Bewusstsein in der grellen Sonne an den Boden gefesselt dalag. Anui wird ihn langsam töten. Sie fragte sich, ob Tangye das wusste und diese Strafe, diese Todesart absichtlich gewählt hatte. Doch es erschien ihr unwahrscheinlich, dass der Aufseher sich um den Glauben der Sklaven auch nur im Mindesten scherte. Es war wohl mehr ein Zeichen für die Sklaven, die dem Möchtegern-Flüchtling nun beim Sterben zusehen mussten. Bei einem langsamen, qualvollen Sterben, das sie daran erinnern würde, welches Schicksal ihnen selbst drohte, wenn sie es wagten, aufsässig zu sein.
Auf dem Weg redete Sinao mit niemandem, und in der Küche legte sie sich sofort auf ihren Schlafplatz. Sollten die
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