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Sturmwelten 01

Sturmwelten 01

Titel: Sturmwelten 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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anderen doch ihre Arbeit machen, oder sollten die Aufseher sie doch neben Majagua legen, ihr war es egal. Sie hatte gehofft, dass sie weiterhin nichts fühlen musste, doch nun liefen die Tränen ihr über das Gesicht, als der Schmerz ihren Körper durchschüttelte. Sie konnte nicht aufhören zu weinen. Majagua starb, und sie konnte nichts dagegen tun. Ihr Liebster, der sie gestern noch geküsst und gehalten hatte, der so warm und tröstlich und lebendig war, musste sterben, und sie konnte nichts dagegen tun.
    Zum ersten Mal in Sinaos Leben verging die Zeit, ohne dass sie sich ihrer bewusst wurde. Irgendwann legte sich jemand zu ihr, nahm sie in den Arm, und Sinao presste sich dankbar gegen den warmen Leib und weinte alle Tränen aus sich heraus.
    Dann lag sie still in der Dunkelheit, eingehüllt in die Umarmung Brizulas, und endlich konnte ihr Geist wieder klarere Gedanken fassen.
     
    Als alle schliefen, löste sie sich vorsichtig aus der Umarmung der alten Frau. Dankbar blickte sie kurz auf die Züge der Schlafenden. So leise wie möglich, schlich Sinao in der Küche umher und packte ein wenig Essen und eine Flasche ein, die sie sorgfältig mit Wasser füllte. Auf nackten Sohlen schlich sie die Treppe empor, vorbei an ihrem Fenster. Sie sollte Angst verspüren, das wusste sie, doch ihr Herz schlug langsam, und sie war ruhig. Wenn die Soldaten sie erwischten, dann würde sie eben sterben, wie Majagua. Dann konnten sie gemeinsam zu den Ahnen gehen.
    Dennoch war sie vorsichtig, huschte von Schatten zu Schatten und hielt immer wieder inne, um zu lauschen. Das Fort lag still da, nur das Rauschen der ewigen Brandung war zu hören. Ihre eigenen Schritte wurden vom Gesang des Meeres verschluckt, und sie erreichte den Hof, wo sie sich zunächst umsah.
    Die Soldaten hatten den Innenhof erst kürzlich aufgeräumt und gefegt. Immer wieder wehte der Wind Erde von den Feldern bis zu den Klippen empor, und dann musste der Fels gefegt werden. Fegen war die Arbeit der Soldaten, nicht die der Sklaven, ein Ritual, das Sinao plötzlich bizarr erschien.
    Der Weg bis zum Tor war nicht weit, doch der kahle Hof bot keine Verstecke, und selbst im Schatten der Mauern wären Bewegungen auffällig. Vor dem hellen Sternenhimmel zeichnete sich die Silhouette eines Soldaten ab, der auf der Mauer auf und ab lief. Die Wache hatte einen guten Blick in den Hof, und auch wenn ihre Aufmerksamkeit eher der Bucht und dem Lager galt, war es beinahe unmöglich, den Hof ungesehen zu überqueren. Sinaos Mut sank, als sie dies erkannte, doch sie dachte nicht daran, aufzugeben.
    Als die Wache sich abwandte, lief sie los. Sie rannte schnell und leise durch die Dunkelheit. Sie spürte mehr, als dass sie sah, wie die Wache den Kopf drehte. Der Soldat würde sie entdecken. Sie beschleunigte ihre Schritte, den Blick nur auf das Torhaus gerichtet, den Sicherheit versprechenden Schatten des Tores selbst. Nur dieses Ziel beherrschte ihren Geist, alles andere verschwand aus ihren Gedanken, verdrängt von dem Verlangen, das Tor zu erreichen.
    Plötzlich war sie dort und presste sich zitternd an die noch vom Tag warme Wand. Zwanzig Sekunden verstrichen, und kein Alarmruf ertönte. Sie war schnell gelaufen, vielleicht so schnell wie noch nie zuvor, und doch hätte sie es nicht schaffen dürfen. Sie hatte den Hof in einem Lidschlag überquert, in einem Gedanken, in dem Moment zwischen zwei Sekunden, wo es keine Zeit geben konnte, keine Bewegung geben durfte.
    Noch lange stand sie reglos im Schatten des Tores, von ihrer eigenen Tat überwältigt. Dann aber schlich sie leise zu den Torflügeln. Anui, hilf uns, flehte sie und legte die Hand auf das kühle Metall der Klinke der Schlupfpforte. Erst ließ sie ihre Finger dort ruhen, als ob die Ungewissheit besser wäre, bis sie schließlich zögerlich drückte. Mit einem leisen Klicken, das in ihren Ohren dröhnte, senkte sich die Klinke, und als die Sklavin sich vorsichtig gegen die Tür lehnte, bewegte sich diese leicht. Danke, Anui.
    Sie schlüpfte durch den Spalt und stand endlich vor der Festung. Sie genoss das Gefühl der Freiheit, den Seewind, der sie streichelte. Das Rauschen klang hier draußen anders, verheißungsvoller, als riefe das Meer sie zu sich.
    Bis zu Majagua waren es nur wenige Schritte. Er lag ungeschützt am Boden, Arme und Beine grausam auseinandergezerrt. Seine Augen waren geschlossen, doch er atmete noch, wie Sinao erleichtert feststellte.
    »Majagua«, flüsterte sie und legte sich neben ihn. Sie

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