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Sturmwelten 01

Sturmwelten 01

Titel: Sturmwelten 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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Genugtuung, Imi aber macht es auch nicht wieder lebendig.
    »Dann bin ich hier wohl fehl am Platze«, erklärte er wie schlaftrunken und ging rückwärts aus der Tür hinaus. Auf unsicheren Beinen stakste er durch den Gang, bis ihn der Weißhaarige unter gemurmelten Entschuldigungen in den strahlenden Morgen entließ. Das Leben nahm weiter seinen Lauf; aber nicht mehr für Imerol, der sein Ende in einem feuchten, dunklen Gefängnis unter Fremden gefunden hatte, unrühmlich und schreiend ungerecht. Blinzelnd starrte Franigo in den blauen Himmel, an dem hell die Sonne schien und auf Recht und Unrecht unterschiedslos herabbrannte. Seine Beine führten ihn weg vom Bettlerpalast, durch dunklere Gassen, auch wenn er nicht sagen konnte, wohin.
    Zwei Männer traten ihm in den Weg, grinsten gefährlich, hielten die Hände an ihren Messern.
    »Zollstation«, zischte der eine und entblößte zwei löchrige Zahnreihen.
    Ohne nachzudenken, zog Franigo seinen Degen und drang auf die beiden ein, die verdutzt zurückwichen. Sein Angriff schlug sie in die Flucht. Er fuhr wild herum, doch es waren wohl nur diese zwei gewesen. Zum ersten Mal, seit er das Gefängnis verlassen hatte, nahm er seine Umgebung wahr. Er befand sich in den Tiefen des Rendont; hier waren die Hütten baufällig, die Dächer windschief, und alles starrte vor Schmutz. Die Gassen waren nicht gepflastert, und der Boden war von vielen Füßen aufgewühlt. Er sah Männer, Frauen und Kinder, denen die Armut ins Gesicht geschrieben stand. Menschen, für die ein einziger Lunar einen Reichtum darstellte, den sie niemals besitzen würden. Wie vor den Kopf gestoßen, zog Franigo weiter, zwang sich, alles anzusehen. Jedes Geschwür, jedes Ratten jagende Mädchen, jedes hungrige Gesicht und jede unglückliche Hure, alle Trauer in den Augen, alle Hoffnungslosigkeit, alle Verlassenheit. Stundenlang zog er durch die Straßen der Stadt, dorthin, wohin kein Adliger je ging, wo es nur die Ärmsten der Armen gab.
    Schließlich, als die Sonne schon unterging, überquerte er die große Brücke über die Narse. Wachleute standen hier, schreckten allein durch ihre Anwesenheit die Armen davon ab, in die besseren Viertel der Stadt gelangen zu wollen. Aber nicht alle ließen sich so vertreiben. Vor den Villen versammelten sich die Hungrigen zu ungeordneten Haufen. Schrien und bettelten lautstark. Dies waren jene, die nur durch milde Gaben überleben konnten.
    Esterge hatte ihm einmal erklärt, dass viele von ihnen Veteranen seien, und zum ersten Mal blickte Franigo die Männer genauer an, die hier um Brot bettelten. Es waren keine gesichtslosen Massen mehr. Dort standen sie, mit ihren Stümpfen und Verbänden, mit den Narben und in ihren Lumpen. Sie hatten Leib und Leben für ihr Vaterland riskiert und gehörten zu jenen Glücklichen, die nur Teile von beidem verloren hatten. Oder sind die Gefallenen glücklicher dran? Franigo konnte es nicht sagen.
    Vor jeder Villa stand eine solche Gruppe. Eine Prozession der Leidenden, angewiesen auf die Mildtätigkeit jener, für die ihr Anblick lediglich eine Zumutung war und deren fetter Beutel durch die Spenden nicht geschmälert wurde. Ein Mann wie Gureman hätte Legionen von Bettlern mit seinem Reichtum durchfüttern können. Ich könnte das , durchfuhr es Franigo, und vor lauter Ekel hätte es ihn fast gewürgt. Über all den Festen, Empfängen, Affären und Huldigungen hatte er vergessen, wer er war. Er hatte Imerol vergessen, und seinen Freund hatte Franigos trunkene Dekadenz das Leben gekostet. Er hatte Geld verschwendet, sich den Wanst mit Köstlichkeiten vollgeschlagen, während sein Freund langsam dahinvegetierte und schlussendlich verhungert war. Und doch, was er getan hatte, war nur eine Sünde im kleinen Stil gewesen; um ihn herum verprassten die Reichen und Adligen den Reichtum ihres ganzen Landes und huldigten nur sich selbst mit ihren endlosen Festen. Der Solar war ihr Götze, so wie er Franigos Götze geworden war.
    Ein Trupp Soldaten stürmte vor ihm aus einem Tor, von dessen Pfeilern vergoldete Statuen sanft herabblickten. Mit Knüppeln und Peitschen trieben die Soldaten die Bettler auseinander, bis eine Schneise entstand und eine prächtige Kutsche zwischen ihnen hindurch auf die Straße fuhr und schon bald um eine Ecke verschwand.
    Niemand achtete auf die zornigen Bettler. Einige Soldaten machten noch höhnische Bemerkungen und traten einen, der mit seinen Krücken zu Boden gestürzt war.
    »Gebt uns Brot!«
    Der Ruf verfolgte

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