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Sturmwelten 01

Sturmwelten 01

Titel: Sturmwelten 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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Verspieltheit harte Arbeit war. Aber natürlich war es Franigo genehm, Geld von jenen zu empfangen, die sich durch seine Nähe kultiviert fühlen wollten. Hoffnungen lassen sich manchmal besser versilbern als jedes materielle Gut.
    Sein Schritt war selbstbewusst und federnd, und seine Augen blickten wachsam unter dem breitkrempigen Hut hervor. Keiner trat ihm in den Weg oder verfolgte ihn, und so erreichte er den Bettlerpalast ungeschoren. Seine Faust schlug an die Pforte, und diesmal öffnete sich das Guckloch schnell.
    »Ich komme, um einen Freund auszulösen«, erklärte der Poet knapp, woraufhin die Tür in fliegender Eile geöffnet wurde. Die Schulden der hier Einsitzenden mussten bei den Wärtern beglichen werden, und traditionell erhielten sie noch einen Obolus für ihre Mühe, obgleich ihnen Franigo lieber einen Tritt für ihre Unverschämtheit gegeben hätte.
    »Natürlich, edler Herr. Kommt herein, kommt herein«, erwiderte der Weißhaarige, der ihm Einlass gewährte, und vollführte dabei einen Kratzfuß. Kopfschüttelnd folgte Franigo der Aufforderung, und hinter ihm fiel die schwere Tür ins Schloss.
    Seine Linke tastete über den Gürtel, in dem die Goldsolare steckten, als müsse er befürchten, dass sie sich unbemerkt in Luft aufgelöst hätten. Doch ihr beruhigendes Gewicht war noch vorhanden, und seine Fingerkuppen glitten über ihre harten Ränder, die sich unter dem Leder des Geldgürtels abzeichneten.
    »Gehen wir in mein Büro, edler Herr.«
    Stumm folgte Franigo dem Wärter und fragte sich insgeheim, wie wohl das Büro dieses blutsaugenden, kleingeistigen Schinders aussehen mochte.
    Tatsächlich war es ein luftiger, heller Raum, in dem neben einem Bett auch noch ein Tisch stand, auf den der Mann ein schweres Buch fallen ließ. Staub wirbelte auf, reizte Franigos Nase, und er hielt sich ein Taschentuch vor sein Gesicht.
    »Um wenn handelt es sich denn?«
    »Imerol Alazraqui i Urnera«, erwiderte Franigo, als der Niesreiz vorüber war.
    »Imi? Oh.« Das Gesicht des Mannes wurde zu einer Maske einstudierter Trauer. So gespielt wirkte es, dass der Poet beinahe aufgelacht hätte. Spöttisch sagte er: »Lasst mich raten, Mesér: Er wurde schon ausgelöst, und jetzt entgeht Euch mein Geld.«
    »Nein, nein, so ist es bedauerlicherweise nicht. Imi ist tot.«
    Die Nachricht traf Franigo wie ein Schlag. Mit offenem Mund starrte er den Weißhaarigen an. Sein Verstand weigerte sich, die Neuigkeit zu erfassen. Er hatte mit Imerol in den brackigen, kalten Gräben vor Gavere gekämpft, in denen ihr Regiment um die Hälfte dezimiert worden war. Bei dem Gedanken daran konnte er das eisige Wasser fast spüren, auch nach all den Jahren noch, wie es ihm bis zur Brust reichte, jeden Lebensfunken im Leib auslöschte, bis der Tod beinah willkommen schien.
    Imerol tot? Der Mann, der im Kugelhagel beim ersten Sturm auf die Stadt das Banner getragen hatte und dem sie nach der Schlacht zwei Kugeln und drei Splitter aus dem Leib schneiden mussten? Der Soldat, der ihm an jenem diesigen Morgen vor so vielen Jahren das Leben gerettet hatte, als er sich im Nebel verlaufen hatte? Wie konnte ein solcher Mann einfach im Gefängnis sterben? Er hat die blutigsten Schlachtfelder Corbanes überlebt, nur um in diesem Drecksloch zu krepieren!
    »Wie?«, keuchte Franigo.
    »Sein Geld ging ihm aus. Wir haben ihm einfache Rationen gegeben, aber dann wurde er krank. Seine Brust. Er hat gehustet, und vor einigen Tagen ist er morgens nicht mehr aufgewacht.«
    »Wollt Ihr sagen, dass er verhungert ist, Mann?« Unwillkürlich wanderte Franigos Hand zu seiner Waffe.
    »Er bekam Essen«, erklärte der Wärter defensiv. »Aber er hatte kein Geld für Fleisch oder Gemüse.«
    Jetzt wich Franigos Entsetzen einem kalten Zorn. Seine Hand verkrampfte sich um den Griff seines Degens, und er sah, wie der Alte zurückwich und nach einer Pfeife griff, die an einem Lederband um seinen Hals hing.
    »Wo ist er?«
    »Auf dem Friedhof«, stammelte der Weißhaarige. »Im Viertel.«
    »Wo genau?«
    »Ich weiß es nicht! Wir haben eine Grube für unsere Toten, da kommen alle hinein.«
    »Kein eigenes Grab, kein Grabstein, nichts?«
    Schweigend schüttelte der Wärter den Kopf. Für Franigo war die Erkenntnis ungeheuerlich, ein Affront gegen Imerol und dessen Glauben, doch der Poet wusste nicht, was ihm zu tun blieb, um wenigstens die Seele des Verstorbenen zu retten, wenn dessen Körper schon verloren war. Diesen Hundsfott hier zu erschlagen wäre mir zwar eine

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