Sturmwelten 01
salutierte er fahrig und wandte sich ab. Roxane sah ihm nach. Als er außer Hörweite war, blickte sie Cearl an.
»Ich werde Cudden anweisen, seine Marinesoldaten in Bereitschaft zu halten. Wer weiß, was geschieht, wenn diese Nachricht die Runde macht.«
Cearl nickte wie benommen. »Natürlich. Ich informiere Leutnant Hugham. Kümmern Sie sich um die Soldaten, Leutnant. Ich will doppelte Wachen vor dem Magazin. Sagen Sie Leutnant Cudden, dass er und seine Untergebenen Präsenz zeigen sollen.«
»Aye, aye, Thay!«
So schnell es die Schicklichkeit erlaubte, ging Roxane unter Deck und klopfte an Cuddens Tür. Der Leutnant öffnete nach einer gefühlten Ewigkeit mit einer nur halb zugeknöpften Uniform und einer schief sitzenden Perücke, die ihm ein beinahe komisches Aussehen verlieh. Er trat vor die Tür und schloss sie, bevor Roxane auch nur einen Blick in seine Kajüte werfen konnte.
»Leutnant, der Kapitän ist tot.«
»Es lebe der Kapitän«, erwiderte Cudden und tippte sich an die Stirn. Sprachlos starrte Roxane ihn an. Seine Wangen waren gerötet, und er grinste leicht.
»Verzeihung. Das ist natürlich eine Tragödie«, erläuterte Cudden mit schwerer Zunge, als er ihren Gesichtsausdruck sah. Da sie nichts sagte, blickte er sie fragend an. »Was kann ich für Sie tun?«
»Bringen Sie bitte Ihre Leute an Deck und halten Sie sie bereit. Die Nachricht könnte die einfachen Seeleute … aufregen.«
»Natürlich.«
»Kapitän Frewelling wünscht doppelte Wachen am Magazin, wenn Sie dies also bitte einrichten könnten. Zudem dürften doppelte Wachen generell nicht von Schaden sein. Aber das überlasse ich selbstverständlich Ihrer Einschätzung.«
»Doppelte Wachen«, erwiderte Cudden und gähnte. »Verstanden. Erwarten Sie Ärger?«
»Harfell war beliebt; und die Art seines Todes hat Fragen aufgeworfen. Einige könnten sich zu einer Dummheit hinreißen lassen.«
»Irgendwer hat den Alten angeschossen«, erwiderte Cudden plötzlich hellwach. »Jeder an Bord weiß das. Der Schütze ist nicht gefunden worden, niemand wurde bestraft. Natürlich sind die Leute aufgeregt. Wenn Sie mich fragen, Frewelling hätte sich einen Schuldigen suchen sollen.«
»Sie meinen einen Sündenbock? Einen Unschuldigen?«, hakte Roxane nach, nur um sicherzugehen, dass sie den Leutnant richtig verstanden hatte.
»Wie auch immer Sie’s nennen wollen. Die natürliche Ordnung an Bord geht ansonsten den Bach runter. Wenn Frewelling nicht aufpasst, wird es ohnehin Tote geben.«
»Das ist eine sehr … kaltschnäuzige Einschätzung der Lage.«
»Realistisch. Glauben Sie mir, Leutnant Hedyn, ich weiß, wovon ich spreche. Ich war vor vier Jahren dabei, bei Balcera. Das Oberkommando hat zwanzig Mann aufgeknüpft, und die hatten sicherlich nicht mehr getan als ich und viertausend andere. Aber es musste getan werden, um die Disziplin zu bewahren. Die Géronaee hätten uns alle abgeschlachtet, wenn wir die Linien nicht bis zur Evakuierung gehalten hätten.«
»Ich bezweifle, dass wir diese Situation mit der unsrigen vergleichen können«, widersprach Roxane. Der Gedanke war verführerisch, und genau dort lag das Problem.
»Möglich. Aber ich weiß, welche Wahl ich treffen würde.« Er blickte sie an. Bislang war er ihr immer wie ein recht einfältiger Offizier erschienen, der wenige Ansprüche stellte. Nun sah sie ihn mit anderen Augen. Bei Balcera war ihre Invasion an der hiscadischen Küste gescheitert. Sechs Wochen waren die Soldaten auf sich gestellt gewesen, während die Flotte wegen ungünstiger Winde hilflos vor der Küste kreuzte. Überlegene Truppenverbände hatten die Invasionsarmee eingekesselt und sie schließlich mit schwerer Artillerie bombardiert. Die Verluste waren grausam gewesen; nur jeder zweite Soldat hatte die Boote erreicht, als endlich evakuiert werden konnte. Tausende hatten ihr Leben in einem unausgereiften Angriff gelassen. Jahrelang hatte Thaynric sich nicht von diesem Schlag erholt und in Furcht vor einem Gegenangriff gelebt, bis zur siegreichen Seeschlacht am Tarnt, welche die Moral der Nation wiederbelebt hatte.
»Doppelte Wachen. Richten Sie Kapitän Frewelling aus, dass ich mich darum kümmern werde.«
»Verbindlichsten Dank.«
»Und denken Sie an meine Worte. Es wird Blut fließen. Es wäre besser, wenn es nicht allzu viel ist.«
Ohne darauf zu antworten, salutierte die junge Offizierin. Cuddens Bereitschaft, jemanden für die Disziplin zu opfern, enervierte sie. Das Schlimmste daran war nicht die
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