Sturmwelten 01
betrachtete, gab es für ihn keine Ausflüchte, und er wusste in seinem tiefsten Inneren, dass er den Freund im Stich gelassen hatte. Um diesen Gedanken zu entfliehen, gab Franigo sich dem Alkohol und anderweitigen Ausschweifungen hin, und letztlich blieb die Gewissheit der Schuld zwar bestehen, doch in einem Maße, die ein Leben mit ihr erträglich, wenn auch nicht angenehm erscheinen ließ. Famos, wie der Geist sich schließlich an alles gewöhnt, die guten wie die schlechten Dinge. Imi ist tot, und dennoch erscheint mir Kakao nun gewöhnlich, und die Zeiten der Armut sind mir selbst in meinen Erinnerungen fern. Wie einfach man doch akzeptiert, glättet, vergisst!
Müßig ließ der Poet den Rotwein im Kristallpokal kreisen. Es war spät, obwohl es für den Rest der Stadt vielleicht eher früh war. Bald würde die Sonne am Horizont aufgehen und die Menschen auf die Straßen treiben, damit sie ihrem Tagewerk nachgingen. Für Franigo gab es nichts, was sein Gemüt so einfach umwölken konnte wie der Anblick der arbeitenden Bewohner der Stadt, sodass er es sich angewöhnt hatte, den Gutteil des Tages im Bett oder doch zumindest in seiner Mietwohnung zu verbringen. Die Arbeit ging ihm leicht von der Hand, und spätestens mit Einbruch der Dunkelheit widmete er sich wieder dem gesellschaftlichen Leben.
Vor Einladungen zu Empfängen, Bällen und Soireen konnte er sich kaum retten, und nicht selten gab es für jeden Abend mehrere ansprechende Alternativen. Künstler waren zurzeit sehr gefragt, vor allem wenn sie nicht maulfaul waren und in einem kostbaren Sessel eine gute Figur machen konnten. Einige Maler, Bildhauer, Musiker und Komponisten waren Franigo inzwischen bekannt, ebenso wie Literaten, Dramatiker, Poeten und solche, die all dies noch werden wollten. Und jeder von ihnen strebte danach, einen Sonnenplatz als Protegé eines einflussreichen und gut betuchten Gönners einzunehmen. Es galt, geistreich zu sein, das ein oder andere Bonmot zu verbreiten und in Diskussionen mit Wissen und Verstand zu glänzen – alles Aufgaben, denen sich der hiscadische Poet gern stellte.
Der Rest seiner Zeit verging mit Liebeleien und Tändeleien. Bei vielen Abendgesellschaften waren die Damen in der Überzahl, und bislang konnte sich Franigo über Angebot und Nachfrage nicht beschweren. Manchmal galt es, ein Duell zu fechten; sei es mit dem gehörnten Ehemann einer Schönen, sei es mit einem übereifrigen Prätendenten auf den Dichterthron. Noch hielten sich das übermäßig gute Essen und die körperlichen Betätigungen die Waage, doch der Poet blickte hin und wieder mit einiger Sorge auf sein Wams, das sich langsam immer weniger elegant um seinen Leib legte. Mehr Frauen, mehr Duelle, weniger Gänseleberpastete, schwor er sich im Stillen und trank einen Schluck des exzellenten Weines von den Hängen der Berge in Favare. Dieses Gebiet, lange Zeit nach dem Fall des Imperiums ein mehr oder minder unabhängiges Königreich, lag in der unwirtlichen, bergigen Grenzregion zwischen Géronay und Hiscadi. Früher hätte Franigo den Wein missbilligt, da er einen Hauch süßer als seine geliebten hiscadischen Weine war, doch inzwischen vermochte er den eigenen Reiz dieses Geschmacks zu schätzen. Werde ich langsam weich? Eingelullt von gutem Essen, schwerem Wein, weichen Weiberarmen?
Ein lautes Klopfen an der Tür zu seiner Wohnung riss ihn aus seinen Gedanken. Mit einem Seufzen erhob er sich mit schweren Gliedern und legte flugs den Waffengurt an. Um diese Zeit gab es nur wenige Gäste. Entweder es war eine Dame, die seine Gesellschaft suchte, oder ein Mann, der einen Händel mit ihm ausfechten wollte. Für einen Moment überlegte er, was ihm besser passen würde, konnte sich jedoch nicht entscheiden. Beides hatte seinen eigenen Reiz.
»Franigo?« Eine Frauenstimme. Schnell fuhr er sich mit der Hand durch das Haar, bevor er die Tür öffnete. Zu seinem Erstaunen stand dort Yuone, die ohne viel Federlesens direkt in das Empfangszimmer stürmte und sich ihm dann zuwandte. Viel war von ihr nicht zu sehen, da sie einen langen, dunkelblauen Mantel samt Kapuze übergeworfen hatte, doch als sie diese zurückzog, fiel ihr langes Haar in ansprechenden Locken auf ihre Schulter. Schon wollte Franigo ihr ein geübtes Kompliment machen, aber da sah er den gehetzten Blick in ihren Augen.
»Was führt dich zu mir, meine Liebe?«, fragte er also stattdessen und wies auf einen gepolsterten Stuhl. Sie schüttelte den Kopf und sah ihn eindringlich
Weitere Kostenlose Bücher