Sturmwelten 01
verdammt dehnbarer Begriff.
Dennoch wusste der junge Hiscadi, dass er sich glücklich schätzen konnte, denn in dem hastig zu einem Lazarett umfunktionierten Raum lagen andere, die weitaus schlimmere Wunden davongetragen hatten als er. Die Luft war erfüllt von ihrem Stöhnen.
Die Echse hatte von Jaquentos Schulter aus die Behandlung aufmerksam verfolgt und schien sich von den Geräuschen und Gerüchen der Verwundeten nicht beeindrucken zu lassen.
»Danke«, sagte Jaquento aufrichtig, als Bihrâd die Nadel in eine kleine Metallschale fallen ließ, die an einem Dreifuß über einer Kerze hing. »Du verstehst dein Handwerk sehr gut.«
»In meiner Heimat gibt es Schulen, wo diese Kunst gelehrt wird. Die Prinzipalen haben den menschlichen Körper genau studiert und erkundet, wie seine vielen Bestandteile zusammen funktionieren. Verglichen mit den Meistern dort ist mein Wissen gering, mein Können winzig.«
»Für mich reicht es«, erwiderte der junge Mann lachend und zog sein zerrissenes Hemd vorsichtig über die Schulter. »Du solltest dein Licht nicht so unter den Scheffel stellen, Freund. Einige verdanken dir heute ihr Leben.«
»Um an einem anderen Tag zu sterben«, antwortete Bihrâd ungerührt. »Die Fünfzehn Höllen holen jeden, früher oder später. Bei manchen wäre es besser, wenn es früher wäre.«
»So ist es wohl« bekräftigte Jaquento und stand langsam auf. Unsicher blickte er Bihrâd an, der fragend den Kopf zur Seite legte.
»Die Sklaven«, begann Jaquento vorsichtig. »In deiner Heimat gibt es Sklaverei?«
»Ja.«
Beide schwiegen, dann seufzte der Maureske.
»Ich kenne die Geschichten. Männer und Frauen aus Corbane, gefangen bei ungläubigen Potentaten, zu unaussprechlichen Akten gezwungen. Das ist unwahr, Jaq, nur Geschichten, um reiche Damen zu erschrecken und ihnen einen wohligen Schauer über den Rücken zu jagen. Sklaven sind wertvoll. Man behandelt sie gut. Niemand würde sie behandeln wie die Leute auf dem Schiff dort draußen. Das tun nur Corbaner. Manche verkaufen sich in die Sklaverei, denn man erhält Essen und wird versorgt, und die Familie bekommt das Geld.«
»In meiner Heimat gibt es keine Sklaven. Aber in den Kolonien gibt es sie. Ich … ich habe darüber nie nachgedacht.«
»Ja.«
Immer noch verunsichert, schwieg Jaquento. Er reichte dem Mauresken zum Dank für seine Hilfe die Hand und entfernte sich dann.
Als er an Deck ankam, stellte er fest, dass die beiden Schiffe inzwischen fest miteinander vertäut waren. Die géronaischen Sklavenhändler kauerten gefesselt auf dem Achterdeck der Wyrdem , während die Piraten ihr Schiff plünderten. Deguay stand beim Steuerrad und unterhielt sich leise mit Pertiz. Langsam schritt Jaquento zur Reling hinüber und legte seine Hand dabei sanft auf den Rücken der Echse.
»Du bist ein ganz schöner Kämpfer, hm?«, murmelte er vor sich hin, während er das Treiben auf dem Sklavenschiff beobachtete. Momentan konzentrierten die Piraten sich auf das Heck und schafften alles, was nicht niet- und nagelfest war, aus dem Achteraufbau an Deck, wo sie bereits einen großen Haufen Beute aufgetürmt hatten.
Obwohl einige Planken zwischen den Schiffen verlegt worden waren, tat sich Jaquento mit seiner Verletzung beim Überstieg schwer, ließ sich dies jedoch nicht anmerken.
»Er ist ein guter Doktor«, begrüßte ihn Rahel, »seine Medizin schmeckt süß, und für jeden Nadelstich bekommt man einen Schluck Rum.« Sie hob die Augenbrauen, als sie die Echse sah. »Ihr beiden werdet noch unzertrennlich. Vergiss nicht, dass dieses Vieh Gold wert ist!«
Ihre Stimme ließ die Echse unruhig werden, doch Jaquento streichelte sie wieder, bis sie zufrieden die Augen schloss.
»Vielleicht sollte ich ihr einen Namen geben? Heute hat sie mich immerhin gerettet.«
»Gerettet! Willst du mich auf den Arm nehmen, Jaq?«
»Nein«, beteuerte Jaquento ernsthaft. Als er ihren ungläubigen Gesichtsausdruck sah, erklärte er: »Sie hat für mich gekämpft. Nun ja, damit meine ich natürlich nicht, dass sie für mich mit dem Degen gefochten hat. Eher in dem Sinn, wie ein Hund seinen Herrn verteidigen würde.«
»Ihr solltet in einem Wanderzirkus auftreten. Jaquento und sein kleiner Freund … wie willst du sie nennen?«
»Ich weiß noch nicht«, entgegnete der Hiscadi unwirsch. »Aber es erscheint mir eigentlich sinnlos, sie zu verkaufen.«
Rahel antwortete mit einem Schulterzucken. Als Deguay ihnen zuwinkte, gesellten sie sich zu ihm und Pertiz. Überall an
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