Sturmwelten 01
Deck konnte man die Spuren des Kampfes sehen. Einige Planken waren mit Blut getränkt. Geschosse hatten das Holz zerfetzt, und überall lagen Splitter und verkohlte Überreste der Geschützladungen. Mit gerunzelter Stirn wies Jaquento auf die Plünderer: »Was ist mit den Sklaven?«
»Ich habe einige Leute in den Laderaum geschickt, die sich mit ihnen verständigen können«, erklärte der Kapitän. »Ich will keine Horde von rachsüchtigen Ex-Sklaven, die nicht zwischen uns und denen da unterscheiden können.«
»Außerdem werden sie Wasser und Nahrung brauchen. Wir schaffen gerade Fässer aus den Vorratsräumen in den Laderaum.« Pertiz wirkte grimmig. »Sie geben ihrer Fracht immer nur gerade so viel, um sie am Leben zu halten. Hält die Kosten niedrig.«
»Diese Sklavenhändler sind wirklich Bastarde«, murmelte Deguay und warf einen finsteren Blick auf die Gefangenen. Die Seeleute wirkten ängstlich. Eine kleine Gruppe hatte sich etwas abgesondert. Ihre Kleidung war teurer und wies sie als Offiziere aus. Einer von ihnen musste der Kapitän sein, doch obwohl dieser ja vor Beginn des Kampfes gerufen hatte, konnte Jaquento ihn nicht erkennen.
Ein Lärm auf dem Hauptdeck ließ ihn herumfahren. Aus der Ladeluke kletterten die ersten ausgemergelten Gestalten. Ihre dunkle Haut zeichnete sie als Einwohner der Sturmwelt aus, aber ihr auffälligstes Merkmal waren die Angst und die Orientierungslosigkeit, die ihnen in Gesicht und Haltung geschrieben standen. Ihre nackten Füße klatschen auf die Planken, als sie das Deck betraten. Manche sahen sich verstört um, andere rissen, geblendet vom plötzlichen Licht, die Arme hoch und heulten laut. Mit ihnen kamen einige der dunkelhäutigen Piraten aus dem Laderaum empor und redeten auf die Freigelassenen ein. Ihre Stimmen klangen eindringlich, beruhigend, auch wenn Jaquento kein Wort der fremden Sprache verstand.
Der Hiscadi betrachtete die Menschen, die mühselig an Deck kletterten, und ihr Zustand ließ einen kalten Schauer über seinen Rücken laufen. Es gibt einen verdammten Unterschied zwischen Sklaven und Leibeigenen, dachte er. Die Untergebenen meines Vaters mögen nicht frei sein, aber niemand hat das Recht, ihnen so etwas anzutun.
»Es wird Zeit, die Sache zu regeln, damit wir von hier verschwinden können«, unterbrach Deguay seine Gedanken. »Wir liegen hier mitten in einer Handelsroute. Wer weiß, ob nicht schon ein ganzes Geschwader Thayns hinter dem Horizont lauert!«
Mit diesen Worten wandte sich der Kapitän an die Gefangen und sprach sie auf Géronaisch an: »Capitane? Wer ist der Capitane?«
Ein älterer Mann mit sorgfältig gestutztem, grauem Bart und einem Barett erhob sich schwerfällig. Jaquento sah Blut auf seinem Wams, doch der Géronay richtete sich stolz auf: »Capitane Loress, zu Ihren Diensten.«
»Kommen Sie, Capitane«, bat Deguay freundlich und legte seinen Arm um die Schulter des Mannes. Gemeinsam traten sie an die Brüstung und sahen hinab auf das Hauptdeck, wo die ehemaligen Sklaven sich versammelten.
»Overo!«, brüllte Deguay und winkte. »Übersetz ihnen, was ich sage!«
»Aye, Käpt’n!«
»Meine Freunde«, begann der Kapitän, und seine Stimme ließ alle zu ihm aufschauen. Er hatte die Arme ausgebreitet und lächelte einnehmend. Neben ihm wirkte der Kapitän der Wyrdem alt, klein und schmutzig. Er kann ein verdammt überzeugender Mistkerl sein, gestand Jaquento sich ein. Alle Augen waren auf Deguay gerichtet, sogar die Echse hatte ihren Kopf erhoben, als wolle sie seinen Worten aufmerksam lauschen.
»Ihr seid frei. Vom heutigen Tage an, von der jetzigen Stunde an seid ihr keine Sklaven mehr!« Der Kapitän machte eine kunstvolle Pause, damit die befreiten Gefangenen Zeit hatten, den Sinn seiner Worte zu erfassen. Dann fuhr er fort: »Aber ihr seid auch – zu meinem Bedauern – fern eurer Heimat. Unglücklicherweise können wir euch nicht nach Hause zurückbringen.«
Als die ehemaligen Sklaven die Worte hörten, die von Overo und anderen übersetzt wurden, setzte großes Durcheinander ein. Freude, ja Triumph, zeigte sich auf einigen Gesichtern, und mancher konnte nur mühsam davon abgehalten werden, die géronaischen Seeleute zu bespucken oder zu schlagen. Andere jammerten jedoch laut, als Deguay auf die See zeigte, um ihnen klarzumachen, wie weit sie von ihrer Heimat entfernt waren. Einige fielen auf die Knie und zerrten an ihren Haaren, doch als der Kapitän weitersprach, kehrte wieder Stille ein.
»Wartet! Wir können
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