Sturmwelten 01
gezeichnet.
»Leg dich nicht mit Tangye an, Freund. Ich habe gesehen, wie er Männer mit seiner Peitsche besinnungslos geprügelt hat. Siehst du die Balken da oben am Fort?«, fragte der Alte und wies zu den grauen Mauern der Befestigung, die sich über der Bucht auf einer Klippe erhob. Aus der gemauerten Wand ragten unterhalb der Zinnen in regelmäßigen Abständen mächtige Holzbohlen.
»Ja.«
»Dort knüpft er unsere Leute auf. Wer nicht arbeiten kann oder nicht gehorcht. Egal, ob Männer oder Frauen, Alte oder Kinder.«
Einige Herzschläge lang schwiegen beide, während sie zu dem Fort hinüberschauten, dessen Kanonenmündungen wie schwarze Augen auf die Bucht gerichtet waren.
»Du gehörst jetzt ihnen«, fuhr der Alte leise fort. »Vergiss das niemals.«
»Ich gehöre niemandem! Ich bin Majagua, der Sohn des Cacique von Guanquen!«, brauste er auf.
»Hier bist du niemand, Junge«, erwiderte sein Gegenüber ruhig. »Kein Häuptlingssohn, kein Mann, niemand. Nur ein Sklave.«
»Es gibt keine Sklaven mehr«, widersprach Majagua heftig. »Die Ari’ wurden verjagt, und die Blassnasen haben es verboten!«
»Egal, welche Fremden du kennst: Hier herrscht die Compagnie, Majagua. Hier gibt es kein Recht. Willkommen in der Finsterwelt.«
Mit diesen Worten hob der Alte seine Last vom Boden auf und ging den mit verrottenden Bohlen belegten Weg hinab zum Steg. Unsicher blickte Majagua zurück zu dem Schiff, das ihn zu dieser Insel gebracht hatte und das nun von einer schier endlosen Kette von halb nackten Männern und Frauen, in die sich der Alte wieder einreihte, beladen wurde, während es seine bisherige menschliche Fracht ausspie.
Abgerissene Gestalten, wie Majagua in Fetzen gekleidet, ausgemergelt, dürr; Haut, die sich über Knochen spannte. Verfilzte Haare, schmutzige Leiber. Leere Augen, nur auf den Fußbreit Boden gerichtet, der den nächsten Schritt ausmacht. Viele waren Paranao, von Majaguas eigenem Volk, aber er sah auch bleiche Menschen, mit ebenso sterbenden Gesichtern. Im gleißenden Sonnenlicht trat jedes Detail dieses verlorenen Zuges von Menschen grausam deutlich hervor. Der Alte spricht wahr , dachte Majagua entsetzt, dies sind Tote, auch wenn sie noch umherwandeln, und das Schiff hat uns alle in die Finsterwelt gebracht!
Das Lager lag unterhalb des Forts, im trostlosen, trockenen Gebiet zwischen Küste und Bergen, zwischen Klippen und Wald. Beinahe wirkte es wie eines der Dörfer der Paranao, viele einfache Hütten, umrundet von einer hölzernen Palisade. Doch die Hütten waren anders als in Majaguas Heimat, und die Palisade sollte die Menschen nicht schützen, sondern einsperren. Die Hütten waren grob zusammengezimmert, mit keiner Öffnung außer der Tür und einem flachen, hölzernen Dach, durch das die Hitze nicht entweichen konnte. Drinnen war es beinahe unerträglich heiß, was die auf dem nackten Boden liegenden Decken, die als Schlafstatt dienen sollten, zu einem Hohn machte.
Es stank nach ungewaschenen Menschen, nach Schmutz und Angst und Krankheit. Bevor sich Majagua jedoch orientieren konnte, ertönten draußen laute Rufe. Harte Befehle, teils in der Zunge der Fremden, teils in Majaguas eigener Sprache, trieben die Neuankömmlinge aus den Hütten, auf den kleinen Platz im Zentrum des Lagers. Dort standen Soldaten mit langen Musketen und strahlend blauen Uniformen. Der Mann, den der Alte Tangye genannt hatte, stand inmitten der Soldaten. Er war groß, größer als Majagua, und hatte die dicke, unbequem aussehende Kleidung der Fremden an, die sie selbst mitten in der Sonne nicht ablegten. Ein breitkrempiger Hut schützte sein Gesicht vor der Sonne, und er trug Lederstiefel, die ihm bis über die Knie reichten. Gelassen wartete er, bis sich alle neuen Bewohner der Hütten versammelt hatten. Schon auf dem Schiff hatte man den Gefangenen deutlich gemacht, dass es nicht ratsam war, sich den Befehlen zu widersetzen, die die Aufseher erteilten, und bei den meisten von ihnen war die Lektion angekommen.
Als sich die Gefangenen zu einer ängstlichen Gruppe zusammengefunden hatten, trat einer der Soldaten, dessen Rock mit viel roter Stickerei verziert war, vor und brüllte: »Ruhe!«
Einige von Majaguas Volk schrien, wie man es eben tat, wenn man Angst hatte, woraufhin der Soldat einen Befehl bellte. Eine Handvoll Bewaffneter stürmte vor und begann mit den Kolben der Gewehre auf die Menschen einzuprügeln. Alle Muskeln in Majaguas Leib spannten sich an, er richtete sich auf. Er wollte
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