Sturmwelten 01
ehre meinen Großvater«, begrüßte er ihn mit der traditionellen Formel ihres Volkes, was den Alten schmunzeln ließ, als er ebenso antwortete.
»Wie heißt du, alter Mann?«
»Dagüey, Junge.«
»Wo sind wir hier? Wie heißt diese Insel? Was ist die Comparnie?«
Die Fragen sprudelten nur so aus Majagua heraus, wie Obstsaft, den man in einer Kürbisflasche gären ließ. Den ganzen Nachmittag über waren sie in seinem Kopf umhergewandert, hatten sich vermengt, nach Antwort gesucht und keine gefunden. Die Reise zu diesem Eiland hatte Majagua im Bauch des riesigen Holzschiffes verbracht; er konnte nicht einmal sagen, wie viele Tage vergangen waren, geschweige denn, wie weit sie von seiner Heimat entfernt waren.
Ihn schauderte, als er an die Zeit dachte, die er eingepfercht zwischen all den anderen schwitzenden, stinkenden Leibern verbracht hatte. Sie waren an Bohlen gefesselt worden und lagen so eng beieinander, dass Haut auf Haut gepresst wurde. Niemand konnte sich rühren, und so hatten sie ihre Notdurft einfach dort verrichten müssen, wo sie lagen. Der Gestank war erbärmlich gewesen, doch die Scham, das Tabu zu brechen und in seinem eigenen Kot schlafen zu müssen, war noch schlimmer. Erst kurz vor ihrer Ankunft hatten die Männer des Schiffs sie mit Wasser abgespritzt, wie Vieh, das zum Markt in die großen Dörfer der Blassnasen geführt wird.
Majagua hatte überlebt, doch andere hatten sich nicht mehr erhoben, als ihre Fesseln gelöst wurden. Er wusste nicht, was mit den Toten geschehen war, doch er fragte sich bereits jetzt, ob sie nicht das bessere Los gezogen hatten.
»Es heißt Compagnie, Junge. Die Thaynrisch-Koloniale Handelscompagnie. Denen gehört die Insel hier, das Fort, die Soldaten, die Schiffe. Und wir«, unterbrach Dagüey Majaguas Gedanken düster.
»Aber die Blassnasen, ich meine die Männer der Cacique von Thaynric sagten meinem Vater, dass es keine Sklaven mehr gibt! Dass sie jeden verfolgen und töten werden, der Sklaven verkauft. Selbst wenn es gute Gefangene sind.«
»Mag sein, mag sein. Aber hier herrscht die Compagnie. Sie hat ihre eigenen Soldaten. Hier gelten ihre Gesetze«, erwiderte der Alte und zuckte mit den Schultern.
»Aber es sind Blassnasen!«
Darauf antwortete Dagüey nicht.
Ratlos blickte Majagua den älteren Mann an. Er versuchte zu verstehen, was dessen Worte bedeuteten. Er wusste, dass es neben den Blassnasen noch andere gab, die von dort über das Meer gekommen waren, wo die Sonne aufging. Als Majaguas Großvater noch Cacique gewesen war, hatten sie riesige Dörfer auf den Inseln gebaut und die Paranao als Sklaven genommen, wann immer sie wollten. Die Ari’ wurden sie genannt, die Eroberer, in ihren silbernen Panzern und mit ihren lauten Feuerwaffen, die einen Krieger auf zwanzig Schritt töten konnten. Doch die Schiffe der Blassnasen, ihre Soldaten und die Gewehre und Kanonen hatten die alten Herren vertrieben und den Paranao neue Gesetze gebracht. Die Gesetze der Cacique von Thaynric, die irgendwo jenseits des Meeres hauste und der alle Blassnasen dienten. Majagua hatte sie sich immer als eine mächtige Hexe vorgestellt, deren Magie selbst bis über die Weiten des Ozeans reichte.
Und die Blassnasen hier waren auch Diener der Cacique von Thaynric, das konnte Majagua an ihrer Sprache hören, die so fremd und harsch war.
»Denk nicht darüber nach. Es ist der Wille der Ahnen«, sagte Dagüey sanft. »Die Worte der Blassnasen sind oft falsch. Sie sagen eines und tun anderes. So sind sie. Vielleicht gibt es keine Sklaven mehr, dort, wo du herkommst. Hier aber schon.«
Durch das Rauschen seiner Gedanken hörte Majagua den Alten; er versuchte, seinen wirren Geist zu bändigen, und fragte nach: »Wo sind wir?«
»Die Insel heißt Hequia, aber die Blassnasen nennen sie alle nur Die Herrin . Als ich hier ankam, gab es noch einige vom alten Volk, die den Namen kannten. Aber die sind alle tot.«
»Hequia«, murmelte Majagua, doch er kannte den Namen nicht. Er ließ das Wort einige Male über seine Zunge rollen, in der Hoffnung, dass er es noch erkennen würde.
»Und Tangye? Ist er der Cacique von Hequia? Und ist das Halbherz sein Weib?«
»Mister Tangye ist kein Cacique, Sohn, und doch ist er mehr als das. Er ist der Herr über Leben und Tod auf dieser Insel. Und welches Halbherz meinst du?«
»Die uns das Essen gebracht hat und so gut ihre Sprache spricht.«
»Sinao?« Der Alte schüttelte den Kopf. »Die Blassnasen nehmen keine Paranao zum Weib. Ihre
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