Sturmwelten 01
fest klingen zu lassen. Überzeugend in den Ohren eines Wahnsinnigen.
»Protestieren Sie, solange Sie wollen. An Bord dieses Schiffes wird kein Ungehorsam geduldet! Verschwinden Sie aus meinen Augen, Fähnrich.«
»Mein Protest wird in das Logbuch eingetragen, Thay? Und in Ihrem Bericht erwähnt?«
»Wenn Sie es wünschen, Hedyn. Schaufeln Sie sich ruhig Ihr eigenes Grab«, erwiderte Harfell beinahe jovial und erhob sich. Langsam schlenderte er um den Tisch herum und kam vor ihr zum Stehen. Er musterte sie eingehend, während sie ihren Blick starr geradeaus gerichtet hielt.
»Was mache ich nur mit Ihnen?«, murmelte der Kapitän. »Als Sie an Bord kamen, hoffte ich, eine verwandte Seele zu finden. Nicht so blutleere Hüllen wie Hugham und Frewelling, die eher Tinte als Salzwasser in ihren Adern haben. Gedient beim großen Sieg am Delta des Tarnt. Eine kämpfende Offizierin! Stattdessen bekomme ich Widerworte, Misstrauen, Illoyalität. Was soll ich nur mit Ihnen tun?«
»Thay, ich bin loyal«, verteidigte sich Roxane hoffnungslos. »Ich kann lediglich nicht schweigend mitansehen, wie Fähnrich Levman für ihr korrektes Verhalten bestraft wird.«
»Ach, Levman. Sie ist eine Unruhestifterin, das hat sie mehrfach bewiesen. Sie stichelt und hetzt die Mannschaft gegen mich auf. Meine Mannschaft!«
»Thay …«
»Aber um Levman geht es hier nicht. Was machen wir mit Ihnen, Leutnant? Ihre Vergehen sind, da von einer Offizierin begangen, weitaus schlimmer.«
Unbewusst straffte sich Roxane. Wenn sie schon nicht Tola vor dem Kapitän beschützen konnte, dann würde sie wenigstens jede Strafe als Sühne ertragen.
»Ich protestiere, Thay«, erklärte sie ruhig. »Ich habe gegen keinen der Kriegsartikel verstoßen.«
»Ist das so? Zitieren Sie bitte Artikel 36, Leutnant.«
Der kurze Moment des Widerstands verging, und mutlos rezitierte Roxane den Text: »Alle anderen Verbrechen, die von einer oder mehreren Personen der Flotte begangen wurden und die in diese Artikel keinen Eingang fanden und für die hiermit keine Strafe festgelegt wurde, sind nach den Gesetzen, Regeln und Traditionen auf See, welche in solchen Fällen Anwendung finden, zu bestrafen.«
»Ich glaube, dass Ihre Vergehen sehr wohl von den Kriegsartikeln abgedeckt sind, Leutnant.«
»Ich verlange, dass mein Protest in Logbuch und Bericht aufgenommen werden«, erwiderte Roxane halbherzig, was den Kapitän den Kopf schütteln ließ.
»Widerstand bis zum Letzten. Ich sollte Sie nackt auf dem Deck an die Gräting binden und wie eine gewöhnliche Matrosin auspeitschen lassen«, erklärte Harfell, was Roxane einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ. Schlimmer als eine solche Bestrafung würde der Ehrverlust sein. Die Marine würde keiner derart bestraften Offizierin mehr ein Patent ausstellen, die Besatzung würde ihr nicht mehr gehorchen. Selbst wenn sie es überlebte, wäre ihre Karriere beendet.
»Ab jetzt haben Sie doppelte Schichten, Leutnant. Sie übernehmen zwei von drei Wachen. Ich werde Sie beobachten; leisten Sie sich einen Fehler, suspendiere ich Sie vom Dienst. Sollten Sie Ihre Wachen nicht korrekt ausführen, werde ich Sie bestrafen. Sehen Sie das als Chance, Leutnant. Noch habe ich meinen Glauben an Sie nicht ganz verloren.«
Da sie nicht wusste, was sie tun sollte, salutierte Roxane und entgegnete: »Aye, aye, Thay.«
»Raus hier.«
Dem rüden Befehl folgend, verließ die junge Offizierin die Kajüte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, und es war, als hinge ihr einer der gewaltigen Anker der Mantikor um die Gurgel. Ihr stockte der Atem, und sie schritt wie betäubt an Deck. Das grelle Sonnenlicht stach ihr in die Augen. Sie wollte zu Tola gehen, um ihr beizustehen, doch der Kapitän war ihr gefolgt und sah sie abschätzig an. Mit steifen Schritten ging die junge Offizierin auf das Geschützdeck hinab und begab sich auf ihre Position. Sie ignorierte Cearls fragende Blicke, die hämischen Mienen der Mannschaft und den Kapitän, der am Niedergang stand, und konzentrierte sich nur auf die Übung. Irgendwo im Schiff wurde Tola gerade halb totgeschlagen, und Roxane fühlte sich wie eine Verräterin an dem Mädchen.
Ihre eigene Strafe bereitete ihr kaum Sorgen, sondern ihre Gedanken wanderten immer wieder zum Fähnrich, bis die Übung mit einem etwas besseren, wenn auch nicht guten Ergebnis vorüber war und der Kapitän sich wieder zurückgezogen hatte.
»Was ist geschehen?«, flüsterte Cearl, als er an sie herantrat, und sah sich
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