Sturmwelten 01
vorsichtig um.
»Er wird Tola umbringen.« Als sie die Worte sagte, wusste sie, dass sie irgendwann wahr werden würden. »Er ist krank. Wir müssen etwas tun.«
»Wir haben darüber schon gesprochen …«
»Nicht hier und nicht jetzt. Später. Ich sage Ihnen, wann und wo«, erklärte Roxane leise. Auch sie behielt die Besatzung im Blick. Sie konnten niemandem vertrauen, und konspirative Treffen mit dem Zweck, den Kapitän abzusetzen, würden vor jedem Marinegericht nicht nur für eine Anklage, sondern auch für eine Verurteilung genügen.
»Wir sollten uns um Levman kümmern«, befand Cearl. »Sie gegen Harfell abschirmen.«
»Ja.«
»Verflucht. Ich hatte gehofft, dass sich sein Zustand gebessert hat. Auf Lessan war er so ruhig!«
»Ich fürchte, wir haben uns beide geirrt.«
JAQUENTO
Der Blick hinab war atemberaubend; und mehr als vierzig Meter über dem Meeresspiegel zu stehen, die Hand am Hauptmast, und auf der schmalen Rah zu balancieren tat das Übrige, um Jaquentos Herz rasen zu lassen. Die Windreiter machte ihrem Namen alle Ehre und flog geradezu über die See. Und Jaquento, der hoch oben am Hauptmast stand, schien selbst durch die Luft zu fliegen, weit über dem Deck, wie ein Vogel. Er ertappte sich dabei, wie er laut jauchzte. Auf der anderen Seite des Mastes lachte Pertiz.
»Habe ich es dir nicht gesagt?«, rief der Kapitän.
»Du hattest recht. Die Welt gehört uns!«, antwortete der junge Hiscadi begeistert. Unter ihnen blähten sich die Segel, und der Wind trieb das Schiff vor sich her. Die Takelage, die Jaquento einst einschüchternd und unbezwingbar hoch vorgekommen war, barg nun keine Schrecken mehr für ihn. Hier oben, am höchsten Punkt des Schiffes, war er zuvor noch nie gewesen, und er genoss das Losgelöstsein mit jeder Faser seines Körpers.
Die kleine Echse hatte es sich auf seiner Schulter bequem gemacht und interessierte sich offenbar nicht für ihre luftige Position. Stattdessen schlief Sinosh – wieder einmal – und ließ sich nicht von den hier oben deutlich spürbaren schaukelnden Bewegungen und dem Wind irritieren.
»Ich entere ab«, rief Pertiz, und Jaquento nickte ihm zu. Gemeinsam kletterten sie behände erst am Mast hinab, um dann schließlich ein Seil zu packen und daran hinunterzugleiten. Die ledernen Handschuhe wurden heiß, doch Jaquento erreichte mit einem Sprung als Erster das Deck und landete federnd, um mit einer gezierten Verbeugung den Kapitän zu empfangen.
»Sehr schnell«, frotzelte er, während Sinosh wie zur Untermalung seiner Stichelei gähnte.
»Wenn du nicht respektvoller bist, werde ich dich zum Deckschrubben einteilen, Jaq«, erwiderte Pertiz.
»Ich zolle Eurer Leistung durchaus Respekt, Mesér. Ihr seid sehr schnell …«
»Aber langsamer als du. Ich habe es verstanden. Hast du den dünnen Streifen am Horizont gesehen?«
Nickend bestätigte Jaquento, dass er den silbrigen Streif ebenfalls gesehen hatte.
»Wir nähern uns dem Ziel. Wir sollten uns langsam darauf vorbereiten.«
»Ihr Wissen ist … unheimlich«
»Was denn?«, erwiderte Pertiz lachend und schlug Jaquento auf die Schulter. »Hast du Angst vor ihrer Magie? Bist du abergläubisch?«
»Nein, nicht besonders. Und das Arsanum ist etwas Natürliches. Aber ihre Fähigkeiten sind außergewöhnlich. Anders, als ich sie bislang gesehen habe. Was immer sie auch sucht: Sie hat sich dafür mit einer Bande von Halsabschneidern und Piraten eingelassen, obwohl das sonst kaum ihr normaler Umgang ist«, erläuterte Jaquento, ohne auf den Protest des Kapitäns zu achten. »Sie kennt trotz ihrer Beteuerungen keine Furcht. Und sie hat uns direkt zu dieser Insel geführt, die irgendwo im Nirgendwo liegt.«
»Alle Inseln hier liegen im Nirgendwo, Jaq. So ist die Sturmwelt beschaffen. Und sie hat wohl mithilfe von Arsanum Kontakt mit ihren Leuten aufgenommen oder das Schiff selbst aufgespürt. Einfache, ehrliche Hexerei.«
»Du weißt, was ich meine.«
»Ja, ich weiß. Diese Insel, Amara, ist nicht gerade der Nabel der Welt. Aber sie ist auch nicht völlig unbekannt. Sie war auf den Karten dieses Schiffes verzeichnet, und angeblich gibt es dort auch eine Kolonie.«
»Eine Kolonie fernab von allem. Die Inseln hier sind nur dünn besiedelt, wenn überhaupt. Der nächste Hafen ist ein kleines Loch, kaum für mehr als für Fischerboote geeignet. Was denkst du, was uns erwartet?«
»Ich weiß nicht. Aber ich weiß eines: Niemand bietet einen solchen Lohn für eine einfache Aufgabe an.«
»Außer
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