Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
bestand für ihn darin, dass er nicht mehr so viel Schlaf benötigte und mittlerweile die frühe Stunde sogar genoss, wenn es ihm möglich war, ungestört seinen Gedanken nachzuhängen.
Möwen kreischten, während sie Bahnen über den Masten des Schiffes zogen, ein sicheres Anzeichen dafür, dass sich die Imperial Land näherte. Auch mit bloßem Auge konnte man mittlerweile die Küstenlinie von Rosarias sehen, ihrem vorläufigen Ziel. Die eher abgelegene kleine Insel, die jenseits der großen Weite lag, stand seit einigen Jahren unter der Verwaltung der Compagnie, die sie, nicht ohne Kampf, von den hiscadischen Seefahrern übernommen hatte.
Thyrane konnte nur vermuten, dass den Paranao, die dort lebten, weder die eine noch die andere Herrschaft gut bekommen war.
Seine Runde führte ihn an dem Teil des Hecks vorbei, auf dem seine beiden seltsamen Gäste sich für die Reise eingerichtet
hatten. Beiden hatte die Vorstellung, eine Hängematte im Bauch des Schiffes zu beziehen, so wenig gefallen, dass der Admiral schließlich zugestimmt hatte, dass sie ihre Schlafmatten an Deck ausbreiten durften – unter der Bedingung, dass spätestens zur zweiten Tagwache jeweils alles wieder weggeräumt und verstaut war. Die Paranao und der Maestre, die eben noch zusammengerollt wie junge Katzen dagelegen hatten, wachten gerade auf und streckten sich, um die Benommenheit des Schlafs abzuschütteln.
»Guten Morgen«, rief ihnen der Admiral aufgeräumt zu.
Sinao erwiderte den Gruß mit einem Lächeln, aber Manoel machte ein finsteres Gesicht und blinzelte verschlafen.
»Die verfluchte Marine«, murmelte er grimmig. »Und diese verdammte Sonne.«
»Lass es doch wieder dunkel werden«, schlug Sinao gut gelaunt vor, aber der Maestre knurrte nur: »So früh is’ selbst das Mojo noch nicht wach.«
Die Paranao stand auf, glättete ihren Rock und band sich das lange, ebenholzfarbene Haar mit einer Kordel zusammen. Dann griff sie nach einem dunklen Holzbecher und ging zum Wasserfass, das von zwei Seesoldaten in Uniform flankiert wurde. Thyrane beschloss, ihr Gesellschaft zu leisten.
»Warum lasst ihr euer Wasser bewachen?«, erkundigte sich die junge Frau neugierig. Sie trank in tiefen Zügen. »Es gibt doch genug davon für alle. In dem Fass sind zweihundertundfünfzig Becher Wasser, und ich habe gesehen, dass ihr noch viele solcher Fässer in den Laderäumen habt.«
Einen Moment lang musterte Thyrane die Paranao verblüfft. In der Tat, du kannst gut rechnen . Dann musste er lächeln.
»Zum Trinken genügt es alle Male, und du wirst feststellen, dass die Wachen nie jemanden davon abhalten, sich
einen Becher zu holen. Nein, die Wachen brauchen wir, damit die Mannschaft das Wasser nicht für andere Dinge verschwendet.«
Diese Antwort schien Sinao zu verwirren.
»Verschwenden? Für was für andere Dinge?«
Der Admiral seufzte.
»Nun, die Leute sind teilweise wochen- oder sogar monatelang auf See. Und so viel frische Leibwäsche führt kein Mensch mit sich. Wenn wir sie nicht daran hinderten, würden sich die Seeleute das Salz aus den Unterhosen waschen, sobald wir nicht hinschauen.«
Sinaos Augen weiteten sich, und sie begann zu kichern und dann zu prusten. »Ihr habt alle Salz in den Unterhosen?«, erkundigte sie sich ungläubig zwischen zwei Lachern.
Ihre Fröhlichkeit war ansteckend, auch wenn der Gedanke an die Salzkristalle eher ein prekärer war, und so stimmte Thyrane in ihr Lachen ein. »Die Wäsche wird mit Seewasser gewaschen, und wenn sie trocknet, bleibt nur Salz übrig«, erklärte er.
»Fort voraus«, ertönte es plötzlich aus dem Krähennest.
Thyrane ließ Sinao mit einem kurzen Kopfnicken bei dem Wasserfass zurück und lief zum Vorschiff hinüber. Tatsächlich schälte sich der Umriss einer viereckigen Wehranlage aus dem Frühnebel, der auf dem Wasser lag. Das Fort Rosarias dominierte die kleine Insel, und mithilfe seines Fernrohrs konnte Thyrane etliche zur See gewandte Kanonen entdecken, ebenso wie die Fahne der Compagnie, die über den Mauern wehte. In der kleinen Bucht, die einen natürlichen Hafen vor dem Fort bildete, lag ein Schiff vor Anker, ein Zweidecker mit vermutlich sechzig Kanonen an Bord. Die Compagnie kaufte immer wieder ältere Kriegsschiffe auf, die von der Marine ausgemustert wurden. Linienschiffe von sechzig Kanonen wurden inzwischen als zu schwach angesehen, um
in der Schlachtlinie zu kämpfen, aber an einem so abgelegenen Ort waren sie immer noch eine bedeutsame Waffe, mächtiger als
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