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Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln

Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln

Titel: Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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sind. Manche arbeiten auch auf den Plantagen, aber die sind weiter im Inland.«
    Unsicher, wie sie auf die neugierigen Blicke reagieren sollte, senkte Sinao den Kopf. Es fiel ihr ohnehin schwer, Fremden einfach ins Gesicht zu sehen. Sie hatte lange genug gelernt, Blicken auszuweichen, bescheiden zu Boden zu sehen, wenn einer der Aufseher in der Nähe war. Aber diese Menschen hier wirkten nicht wie die Herren auf Hequia. Sie waren den Sklaven viel ähnlicher. Ihre Kleidung war ärmlich, zerrissen
und geflickt, ihre Leiber waren dünn und teilweise regelrecht ausgemergelt.
    »Hast du keine Angst?«, fragte Sinao leise und warf einen verstohlenen Blick zu einer kleinen, grauen Hütte, vor der fünf Kinder spielten. Eine junge Frau lehnte im Eingang der Hütte. Ihr einst roter Rock war stellenweise zu einem fahlen Orange verblasst, und um den Oberkörper hatte sie nur ein Tuch gewickelt. Mit der Hand winkte sie ihnen zu, so dass Sinao wieder hastig zu Boden schaute.
    »Ach ja, einige verkaufen sich auch«, erklärte Manoel ungerührt und schüttelte deutlich den Kopf. »Der Konvoi ist ausgelaufen, und dann wird es immer recht ruhig in Lessan. Weniger Arbeit für die Huren, und das bedeutet auch weniger Geld.«
    Schweigend liefen sie weiter. Immer wieder riskierte Sinao Blicke nach links und rechts, prägte sich die Menschen ein, die an dieser schlammigen Straße lebten.
    Erst als Manoel stehen blieb und die Arme ausbreitete, sah sie wieder auf. Vor ihnen ging es den Hang hinab, und von ihrer Position aus hatten sie einen großartigen Blick auf die ganze Stadt und den Hafen. Die Hafenmauern umfingen die beiden Becken wie zwei Arme einer liebenden Mutter ein Kind, auch wenn die gedrungenen Festungen mit den dunklen Kanonen nicht in dieses Bild passten. Viele Schiffe waren auf dem Wasser, einige lagen vor Anker, anderen kreuzten vor dem Hafen. Im größeren Becken, dort, wo die Windreiter lag, lösten sich zwei lange Ruderboote vom Steg, zwei weitere umrundeten gerade eines der gewaltigen Schiffe, die mitten im Hafen lagen. Sinao zählte neunzig Köpfe in den Ruderbooten, und gerade als sie sich fragte, wohin sie wohl rudern mochten, fluchte Manoel neben ihr.
    »Was ist?«
    »Schau dir die ganzen Langboote an! Die halten auf die Reiter zu! Da is’ was faul.«

    »Was denn? Was meinst du?«, fragte Sinao. Die Aufregung des jungen Maestre griff sofort auf sie über.
    »So viele Soldaten. Alles Rotröcke. Wozu schicken die so viele Soldaten?«
    Plötzlich sprang der junge Mann wie ein Irrwitziger auf und ab. Er schwenkte die Arme über dem Kopf und brüllte: »Bihrâd! Alarm! Alarm!«
    Aber seine Rufe erreichten die Schiffe im Hafen nicht; sie beide standen zu weit entfernt, um mehr als Zuschauer zu sein.
    »Bei der Einheit, schlaft ihr denn alle? Wieso gibt niemand Alarm?«
    Mit wilder Miene riss Manoel die Arme über den Kopf und legte die Handflächen zusammen. Unvermittelt zwinkerte er Sinao zu: »Das zeige ich dir irgendwann auch noch. Schau zu Boden.«
    Ein heller Lichtstrahl schoss aus seinen Fingern empor, heller als das Sonnenlicht, bis hoch in die dunklen Wolken, und obwohl Sinao dem Befehl Folge geleistet hatte, brannte das gleißende Licht durch ihre geschlossenen Lider. Noch bevor sie die Augen wieder geöffnet hatte, zerrte Manoel sie am Ärmel.
    »Komm!«
    Sie hetzten durch die Straßen. Immer wieder blinzelte Sinao, um die tanzenden Lichter aus ihrem Sichtfeld zu vertreiben. Obwohl sie mehrfach einen Blick auf den Hafen erhaschen konnten, war es ihr nicht möglich zu erkennen, was dort unten vor sich ging. Durch ihren Geist sprangen die Bilder ihrer Gefährten, Brizulas Gesicht und das der anderen, die auf dem Schiff saßen. Anui, lass nicht zu, dass ihnen etwas geschieht , bat sie flehentlich. Endlich verschwanden die hellroten Flecken, wurden dunkler und verblassten. Doch bevor sie eine Stelle erreichten, an der sie das Geschehen im Hafen verfolgen konnte, hallte ein Schuss durch die Bucht. Und dann noch einer, lauter und wütender als der erste.

    Als sie ein gedrungenes Haus umrundeten, erstarrten sie in der Bewegung. Vom Fort stieg Rauch auf, heller Pulverdampf. Die Boote hielten unbeirrt auf die Windreiter zu. Von deren Deck erklang ein Schuss, eine Muskete offenbar. Sinao konnte nicht erkennen, ob jemand getroffen worden war, doch die Antwort kam prompt. In den Ruderbooten richteten sich Soldaten auf, Befehle hallten zu ihnen empor, dann knatterte eine ganze Salve in ihren Ohren. Einige Momente lang

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