Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
erinnerte Roxane sich wieder an das Bild im Gefecht, als ein anderer Offizier ähnlich derangiert in ein Boot gestiegen war, um einen wahnsinnigen Angriff gegen die Korvette durchzuführen. Leutnant Cudden war dabeigewesen, als Cearl vergeblich versuchte, seine Ehre durch Heldentaten zurückzuerlangen.
»Guten Tag, Kapitän. Sofern man bei diesem Wetter von gut sprechen kann.«
Es dauerte einige Momente, bis Roxane die Erinnerung wieder abgeschüttelt hatte.
»Noch sind die Schleusen des Himmels geschlossen, und wir bleiben von Regen verschont. Der Wind bringt uns schneller in die Heimat, als wir dachten. Ich bin also der Ansicht, dass gut angemessen ist.«
Er schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln, dann trat er näher an sie heran. Seine Stimme war gesenkt, als er fragte: »Wir haben den Kurs gewechselt?«
»Ja, Thay. Ich habe mich entschieden, die vorherrschenden Winde besser auszunutzen. Wir segeln Ostsüdost und nehmen die Handelswinde länger mit. Dafür werden wir dann an
der Küste nach Norden schwenken müssen, aber alles in allem dürfte unsere Fahrt so schneller vonstatten gehen.«
Ohne ihn anblicken zu müssen, sah sie den Zweifel in seinen Zügen. Tatsächlich konnten sie froh sein, wenn der neue Kurs sie nicht noch Zeit kostete, da sie Corbane zwar schneller erreichen würden, aber dann die Küste entlang bis zu den thaynrischen Inseln segeln mussten. Doch Roxane fühlte sich nicht bemüßigt, die Gründe für ihren Entschluss offenzulegen. Ich bin der kommandierende Offizier dieses Schiffes. Ich habe mich lediglich der Admiralität gegenüber für meine Entscheidungen zu rechtfertigen . Und den alten Herren schulde ich nun bereits so viele Entschuldigungen und Erklärungen, dass es auf eine mehr oder weniger nun auch nicht mehr ankommt .
»Wie lange noch, bis wir Land erreichen?«, erkundigte sich Cudden und lehnte sich mit den Armen auf die Reling.
»Zwei, vielleicht drei Tage.«
»Und wo?«
»Verzeihung? Ich verstehe nicht, Thay.«
»Wo werden wir die Küste Corbanes erreichen?«
»Bei Balcera. In etwa. Da wir kein genaues Ziel haben, nutzen wir den Wind einfach optimal, aber in der Gegend von Balcera werden wir nach Norden abdrehen.«
»Balcera«, murmelte er. »Nördliches Hiscadi. Raue Gegend dort. Alles voller Rebellen und Freischärler und Schafhirten.«
»Sie waren beim Angriff damals dabei«, erinnerte sich Roxane wieder.
»Das ist lange her«, erklärte er abrupt und richtete sich auf. Nun stand er stocksteif vor ihr, bis auf die ungebändigten Haare ein Inbegriff eines Offiziers. »Und ein Ort ist so gut wie jeder andere. Wir Soldaten gehen dorthin, wohin man uns schickt, Thay, nicht anders als Sie.«
»Natürlich, Leutnant.«
»Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden?«
Roxane wollte schon bejahen, besann sich dann aber eines Besseren: »Nein, einen Moment noch, bitte. Ich würde gern noch eine Kleinigkeit mit Ihnen besprechen, wenn es Ihnen recht ist.«
»Selbstverständlich, Thay.«
»Ich habe mich entschieden, den Freigang der Gefangenen auszuweiten.«
»Thay?« Seine Miene zeigte sein Erstaunen, aber nur für einen Augenblick, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Oder er versteht .
»Da sie sich gut führen und uns bislang keinerlei Schwierigkeiten bereitet haben, denke ich, dass sie auch gleichzeitig an Deck kommen dürfen. Zudem würde ich die Zeiten etwas ausweiten. Sagen wir, bis in die Erste Wache hinein?«
Sie konnte sehen, wie es hinter seinen Augen arbeitete, aber seine Miene war so schwer zu lesen wie immer. Als Kommandant der Abteilung von Marinesoldaten an Bord wusste er natürlich um das Sicherheitsrisiko, das diese Anordnung darstellte. Zu dieser Jahreszeit würde es fast die gesamte Wache hindurch dunkel sein, und der Großteil der Besatzung würde sich unter Deck befinden.
»Aye, aye, Thay«, erwiderte er ruhig. »Ich werde alles Nötige veranlassen.«
Roxane bedankte sich erleichtert und wollte sich gerade abwenden, als sie seinen Blick bemerkte. Er schwieg, doch sie wusste, was er dachte. Langsam verschränkte sie wieder die Arme auf dem Rücken und spannte die Schultern. Sie musste ihre Finger mit aller Macht davon abhalten, nervös mit dem Stoff ihres Uniformmantels zu spielen.
»Wir werden in Landnähe fahren, nehme ich an?«, erkundigte Cudden sich schließlich. Fast hätte Roxane geseufzt, doch sie behielt die Kontrolle und nickte so, als ob er lediglich gefragt hätte, ob es Pökelfleisch zum Abendessen geben werde.
»Mit etwas
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