Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
auch ansonsten die volle Aufmerksamkeit der Besatzung haben, jetzt folgten alle dem Ruf zur Gefechtsbereitschaft. Jeder hier, gedrillt von der Marine Ihrer Majestät, hatte eine Aufgabe. Jaquento hingegen hatte keine Aufgabe, nur ein Ziel: die Waffenkammer im Heck, wo alles eingeschlossen und bewacht wurde, was dem Oberkommando als zu gefährlich in Matrosenhand erschien.
Vor der Kammer stand ein Sergeant mit zwei Soldaten. Sie waren gerade dabei, Pulverkartuschen zu ordnen und Kugelbeutel an ihren Gürteln zu befestigen.
»Kapitän Hedyn schickt mich«, erklärte Jaquento in einer
passablen Imitation militärischer Umgangsformen. »Ich soll mir eine Waffe geben lassen.«
Der Sergeant sah ihn an. Fast glaubte der Hiscadi, dass der Mann ihm aufgrund seiner unklaren Stellung in der Bordhierarchie keine Waffe aushändigen würde, aber Roxanes Name wog schwerer als die Bedenken, die der Offizier haben mochte, und der Sergeant machte einen Schritt, der ihn halb in die kleine Kammer hineinführte.
»Entermesser? Pistole?«
»Gewehr.«
Ohne ein weiteres Wort wurde Jaquento die gewünschte Schusswaffe gereicht, ebenso Kugeln und genug Pulver für zehn Schuss. Er wollte sich bereits abwenden, als ihm noch ein Gedanke kam.
»Und ein Messer, wenn’s recht ist.«
Mit einem Nicken übergab ihm der Sergeant auch diese Waffe.
»Danke.«
»Was ist denn los?«, erkundigte sich der Offizier mit einem Seitenblick zu den Soldaten. »Klang fast so, als seien wir auf Grund gelaufen, nicht wahr?«
»Wir hängen jedenfalls nicht fest«, erklärte Jaquento. »Die Kapitänin hat irgendwas gesehen, aber ich weiß nicht, was«, log er ruhig, als er die Neugier und Unsicherheit in den Mienen der anderen sah.
Das Schiff erbebte erneut unter einem Schlag. Jaquento machte auf dem Absatz kehrt und rannte zurück zum Niedergang. Doch dann folgte er einer Eingebung, ließ den Weg nach oben links liegen und rannte hinab in den Laderaum, in dem ein schattiges Zwielicht herrschte. Es roch brackig, und das einzige Licht kam von Laternen, die weiter vorn von zwei Matrosen gehalten wurden. An der Bordwand erkannte der Hiscadi den Schiffszimmerer und seine Gehilfin, die hastig
versuchten, ein Leck abzudichten, das zum Glück nur aus einigen halb geborstenen Planken bestand. Dennoch war bereits knöcheltief Wasser in den Raum eingedrungen, und die Seeleute mussten in der Brühe kniend arbeiten, was ihre Aufgabe nicht eben erleichterte. Das Wasser spülte über Jaquentos Füße und erinnerte ihn unangenehm daran, wie kalt der Ozean draußen sein musste.
Gequältes Holz ließ ein Knirschen ertönen, in das sich ein metallisches Jaulen mischte, das den Hiscadi zusammenzucken ließ.
»Was, bei allen Geistern der Tiefe, ist das?«
Und dann sah er es. An Steuerbord bogen sich die mächtigen Planken nach innen, als wären es kleine Zündhölzer. Einen Moment lang sah es so aus, als würden die Schiffswände dem Druck standhalten, doch dann gab das Holz nach, splitterte und brach berstend. Einzelne Wasserstrahlen spritzten mit Wucht in den Laderaum, doch Jaquento achtete nicht darauf. Sein Blick wurde einzig von dem Bild angezogen, das sich ihm bot: Feucht glänzende dunkle Klauen gruben sich mit unvorstellbarer Kraft durch die Bordwand. Die Szene war so fern aller Vernunft, dass er kaum verstand, was er dort sah. Bei der Einheit, Roxane hatte Recht …
Die Zimmerleute ließen ihre Werkzeuge fallen und starrten fassungslos die gewaltigen Krallen an. Einer der Matrosen begann in Panik zu schreien. Die Lampe, die er in der Hand gehalten hatte, fiel zu Boden und verlosch mit einem Zischen.
Das schrille Kreischen des Mannes ließ Jaquento handeln. Er zog eine papierne Kartusche aus dem Beutel an seiner Seite, biss die Spitze ab und schütte das Pulver vorsichtig in die Mündung. Noch immer waren die Krallen zu sehen, die sich Stück für Stück durch das zerstörte Holz nach vorn schoben, wie Boten aus einer anderen, uralten Welt, und Jaquento beeilte sich, seine Waffe schussbereit zu machen. In
seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er hatte keine Ahnung, ob eine Gewehrkugel etwas gegen ein Wesen auszurichten vermochte, das so groß war, wie es die feuchten Klauen erahnen ließen. Aber er musste zumindest versuchen, es herauszufinden. Wenn ich jetzt nichts unternehme, rennen gleich alle Seeleute weg. Und das Schiff säuft ab wie ein leckgeschlagenes Fass.
Als er das Gewehr anlegte und den Lauf hastig auf die geborstenen Planken richtete,
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