Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
unscheinbarer; es war nun kein Himmel mehr, sondern ein diffuses Leuchten ohne Sinn, das sie nicht verstand. Ihre Gedanken wurden langsam und träge, und sie wollte nur noch eines, mit aller Macht: einatmen.
Als sie die Lippen öffnete und kaltes Wasser in ihren Mund strömte, erwachte ein kleiner Teil von ihr, der bereits fast eingeschlafen war. Flüssiges Feuer drang in ihre Lungen ein, sie hustete, die Brust zog sich ihr zusammen, verkrampfte sich.
Tareisa erkannte, dass sie ertrank.
Und mit dieser Erkenntnis erwachte ihr Lebenswille wieder, und sie entfesselte die Vigoris. Sie war nicht mehr stark genug, um sie geschickt zu formen, ihr ein ausgestaltetes Muster zu geben. Also presste sie ihre Macht in einen einfachen Zauber. Vigoris entlud sich um sie, peitschte durch das Wasser, rief zuckende Lichtbögen hervor, für die sie sich sonst geschämt hätte. Aber jetzt war es egal, dass es ihr kaum gelang, sie zu lenken. Tareisa kämpfte gegen den Sog, den sie spürte und der ihr die rettende Macht entziehen wollte. Es war wie eine finstere Intelligenz, eine Art Raubtier, das sie töten wollte. Ein Teil der Vigoris verschwand, löste sich aus dem Zauber, aber es blieb noch genug zurück.
Die Maestra wurde emporgerissen. Die See spie sie förmlich aus, und mit einem Schrei durchbrach Tareisa die Oberfläche, spuckte und hustete Wasser aus, erbrach sich salzig ins Meer. Sie war schwach, aber dennoch strampelte sie mit den Beinen, bewegte müde ihre Arme, um nicht wieder unterzugehen. Ihre Haare hingen ihr in feuchten Strähnen ins Gesicht. Dann trieb sie auf dem Rücken auf den Wellen, betrachtete den Himmel, spürte die kalte Luft auf ihrer Haut und konnte sich nichts Besseres vorstellen, als die köstliche Seeluft einzuatmen und durch ihren Körper fließen zu lassen.
Nach einer Weile übernahm ihr Geist mühsam die Kontrolle, verdrängte die wohlige Erschöpfung, die sich über sie gelegt hatte, und zwang sie, den Kopf zu heben. Suchend blickte sie sich um und sah tatsächlich die Todsünde , die bereits ein ganzes Stück entfernt war. Während Tareisa sie musterte, entdeckte sie Matrosen, die in der Takelage arbeiteten. Die Segel wurden gerefft oder neu ausgerichtet. Am Achterdeck tauchte eine Gestalt auf, die unbewegt auf das Meer hinauszublicken schien. Fast meinte die Maestra, den kahlen Kopf und das seltsame Gebaren ihres Entführers ausmachen
zu können. Verdammter Bastard. Du wirst mich nicht noch einmal in die Finger bekommen.
Immer wieder verschwand das Schiff aus ihrem Blickfeld, doch sie musste es gar nicht sehen, um zu wissen, dass sie gejagt werden würde. Tatsächlich sah die Maestra, als sie das nächste Mal einen Blick auf die Todsünde erhaschte, wie ein Boot klargemacht wurde.
Immer noch erschöpft, begann Tareisa, von der Todsünde wegzuschwimmen. Sie machte sich keine Hoffnungen, einem Ruderboot entkommen zu können, aber sie musste so viel Distanz wie möglich zwischen sich und das Piratenschiff bringen. Allzu lange würde sie allerdings nicht durchhalten, das konnte sie bereits nach den ersten Schwimmbewegungen spüren. Zu lange war sie gefangen gewesen, zu schwach war ihr Körper, zu erschöpft ihr Geist.
Sie versuchte, zu erkennen, wie nahe ihr die Verfolger schon gekommen waren, aber im Spiel der Wellen fiel es ihr schwer, das Schiff im Blickfeld zu behalten, ohne Wasser zu schlucken. Zwar konnte sie bereits seit ihrer Kindheit schwimmen, doch die offene See war selbst für einen geübten Schwimmer eine große Herausforderung.
Als sie wieder den Kopf umwandte, sah sie fast direkt hinter sich das Boot, das weitaus schneller gerudert wurde, als sie gedacht hätte. Erschrocken drehte sie sich um, stieß sich mit einem kräftigen Schwimmzug ein Stück aus dem Wasser und öffnete sich für die Vigoris.
Diesmal sog die Ladung kaum noch an ihr, und sie war konzentrierter und besser vorbereitet. Die Vigoris fügte sich in das einfache, aber effektive Muster und legte sich innerhalb eines Herzschlages um das Boot.
Planken knirschten, dann brachen sie. Holz barst knallend, Menschen schrien, ob vor Angst oder vor Schmerz, konnte Tareisa nicht sagen. Das Boot wurde ein Stück emporgehoben,
dann drehte es sich um die eigene Achse, krachte in sich zusammen, und das zersplitterte Holz fiel zurück ins Meer.
Ein grimmiges Lächeln stahl sich auf Tareisas Züge. Sie suchte nach der Todsünde und fand sie schließlich jenseits der Wrackteile, die ihr Angriff auf das kleine Dingi zurückgelassen
Weitere Kostenlose Bücher