Sturmwelten 03. Jenseits der Drachenküste
stattdessen gerettet. Einen Teil dieses Lebens hatte sie hinter sich gelassen, der andere wartete auf sie.
Sinao schlüpfte zwischen zwei Matrosen hindurch, die gerade ein dickes Tau aufrollten, wich zwei Frauen aus, die einen Eimer mit fürchterlich stinkendem Inhalt an Deck trugen, und duckte sich in den Niedergang.
Wo Manoel nur steckt? Normalerweise war der junge Maestre kaum dazu zu bewegen, sich in die quälende Enge des Schiffsbauchs hinabzubewegen. Wie Sinao auch, hatte er
seine Schlafmatte an Deck verstaut und genoss weitaus lieber den Blick auf den freien Himmel als auf die oft über hundert fluchenden, würfelnden, lärmenden und schwitzenden Matrosen auf Freiwache. Doch jetzt hatte Sinao ihren Freund und Lehrmeister an Deck nicht finden können. Dabei wollte sie ihm doch unbedingt zeigen, welches neue Kunststück sie eben zuwege gebracht hatte. Er wird Augen machen, wenn er das sieht, dachte sie voller Vorfreude.
Sinaos Augen gewöhnten sich schnell an das Dämmerlicht. Obwohl der Kapitän die Stückpforten hatte öffnen lassen, damit Licht und Luft hereingelangen konnten, war es unter Deck immer noch stickig und warm, und die wenigen Lichtstrahlen erhellten den engen Raum kaum.
»He! Du!«
Eine kleine, drahtige Frau in roter Uniform kam auf Sinao zu. Ihr Gesicht war gerötet, und ihr lief ein Tropfen Schweiß die Schläfe hinab. Die Paranao wunderte das nicht; die Uniform war eng und sah unbequem aus, und sie war mit einem hohen Kragen versehen, der den Hals einschnürte. Die Stiefel der Frau waren ebenfalls geschnürt, was in der Hitze der Sturmwelt gewiss sehr unangenehm war.
»Der Admiral will dich sehen«, erklärte die Seesoldatin und runzelte die Stirn, während ihr Blick über Sinao wanderte. Offensichtlich gefiel ihr nicht, was sie sah, aber sie sagte nichts mehr. Fragend blickte die junge Frau sie an. Fünf Herzschläge vergingen, sechs, dann endlich fauchte die Soldatin: »Hopp, hopp! Worauf wartest du?«
»Ich weiß nicht, wohin«, erwiderte Sinao ungerührt. Ihre eigene Kleidung bestand nur aus einer dünnen, weiten Hose und einem Hemd, das für einen doppelt so großen Mann gedacht gewesen musste. Ihre Füße waren nackt, und ihre Locken hatte sie mit einer Kordel zurückgebunden. Sie lächelte süß, während ihr Blick dem Schweißtropfen folgte, der nun
zitternd am Ohrläppchen der Frau hing, ehe er auf den Kragen fiel und von dem schon speckig wirkenden Stoff aufgesogen wurde.
»In der Kapitänskajüte. Schwing die Hufe, verdammt nochmal!«
Sinao nickte. Die Soldatin war verärgert, doch als die Paranao sich abwenden wollte, entdeckte sie noch mehr in den Augen, verborgen hinter dem Zorn: Angst.
Vielleicht war es nur Einbildung, aber sie meinte, den Blick der Seesoldatin in ihrem Rücken spüren zu können, als sie die steile Treppe hinauflief. Obwohl sie nichts getan hatte, um dieses Angstgefühl in der Frau auszulösen, sorgte deren Furcht dafür, dass Sinao die Schultern straffte und den Kopf stolz hob. Ihr könnt mich nicht mehr einfach herumschubsen. Diese Zeiten sind vorbei. Ich bin keine Sklavin mehr.
Als sie an Deck ankam, mitten im Sonnenlicht, über ihr die gebauschten Segel des Schiffs, und den frischen Wind spürte, der ihr übers Gesicht strich, verflogen die dunklen Gedanken wieder. Sie lief zum Achteraufbau, öffnete die Tür und trat in den engen Gang. Vor der Tür der Kajüte stand ein Soldat Wache, dessen Miene zwar unbewegt war, dessen gesamte Haltung jedoch sein Unbehagen deutlich ausdrückte. Hinter ihm erklangen Stimmen, zwar durch die Tür gedämpft, aber dennoch laut, so als ob zwei Menschen streiten würden. Eine dieser Personen war unverkennbar Bailiff Malster. Als Sinao die Stimme der Verwalterin der Compagnie auf Rosarias zum ersten Mal gehört hatte, hatte die Paranao sie sich gut eingeprägt.
»Hallo, Hosred«, grüßte Sinao den Soldaten, der ihr zunickte. »Ich soll reingehen.«
Er lächelte gequält. Sinao kannte ihn von seinen Freiwachen, in denen er manchmal an Deck saß und leise vor sich hin sang. Er hatte eine schöne, tiefe Stimme, die gut zu den
traurigen Liedern passte, die ihm am besten zu gefallen schienen. Auf seiner Wange war noch Schorf zu sehen; in der Schlacht um das Fort hatte er Splitter abbekommen. Damals hatten die Wunden schlimm geblutet und ihn wie einen Daemon aussehen lassen. Jetzt wirkte es, als habe er sich mit brauner Farbe drei Striche auf die Wange gemalt. Er klopfte an die Tür. Von drinnen erklang ein wütendes
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