Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Geschwindigkeit jagten die drei Maschinen aufeinander zu. Es war Philippe, der wie ein unterwürfiger Hund nach unten abdriftete, bereit, dem Kampf auszuweichen und dabei den beiden Franzosen zu zeigen, dass er ohne Waffen flog. Doch die Chancen, dass sie einen Beobachter so weit im Hinterland Frankreichs ungeschoren davonkommen ließen, lagen praktisch bei null.
Die Morane-Saulniers donnerten über ihn hinweg. Philippe spürte ihren Luftwirbel, vernahm trotz der Ohrenschützer und des Lärms seiner eigenen Maschine das Dröhnen ihrer Motoren. Er hob den Kopf und gewann den Eindruck, die Kokarde mit den französischen Farben auf ihren Tragflächenunterseiten mit der Hand berühren zu können.
Die dünne, kalte Luft heftig ein- und ausatmend schwenkte er etwas nach links. Damit kam er zwar leicht von seiner Route ab, behielt aber die feindlichen Flugzeuge im Blick. Zu seinem Erstaunen schwenkte einer der Piloten in Richtung Norden ab, der andere jedoch zog eine enge Schleife und plante offenbar, sich an sein Heck zu kleben.
Ruckartig ließ Philippe den Atem entweichen. Er kondensierte vor seinem Gesicht. Sein Pulsschlag erhöhte sich. Seine Hände krallten sich um das Steuer. Erneut drehte er den Kopf. Der Verfolger befand sich knapp hinter ihm. Ob ihm eine Chance zur Flucht blieb? Philippe riss seine Maschine nach oben. Sie strafte das abrupte Manöver mit einem unruhigen Vibrieren, zog aber an. Dadurch stieg sie direkt der grellweißen Sonne entgegen und war für den Piloten hinter ihm kaum noch auszumachen.
Das Maschinengewehr seines Gegners blieb stumm. Philippe biss die Zähne zusammen. War er entwischt? Zumindest für den Moment! Er musste weiter in Richtung Osten auf die deutsche Seite hinüber. Vielleicht würde der Franzose dort von ihm ablassen!
Philippe stieß einen unartikulierten Laut aus, als die Morane-Saulnier plötzlich zu seiner Linken auftauchte. Vermutlich war sie nicht mit der Vorrichtung ausgestattet, die es dem Piloten erlaubte, durch den Propellerkreis zu schießen. Doch nun genügte ein winziger Schwenk des Piloten, um sich auch ohne diese raffinierte Neuerrungenschaft auf ihn einzuschießen …
Kapitel 30
Bei Gorlice, österreichisches Kronland Galizien, Polen,
April 1915
Dichte Nebelschwaden, von der tief im Osten stehenden Sonne in lichtes Weiß getaucht, lagen über der sanft gewellten Hügellandschaft, verhüllten das üppige Grün der Auen und Bäume und das Blau der Weichselzuflüsse. Nicht verbergen konnte der Bodennebel die Schützengräben entlang des Frontabschnittes, die notdürftig erbauten Unterstände und die Zelte neben dem ehemaligen Rathaus, in dem ein Frontlazarett eingerichtet worden war. Während die ersten Sonnenstrahlen über die Bäume strichen und den Frühnebel aufzulösen begannen, erhoben immer mehr Vögel ihre Stimmen zu einem fröhlichen Morgengruß. Der würzige Duft feuchter Erde und morastiger Wiesen breitete sich aus.
Robert stand auf der obersten Stufe der halbrunden Freitreppe, atmete tief den würzigen Geruch ein und schloss die Augen, als die Sonnenstrahlen sein Gesicht streichelten. Für einen Moment vergaß er all das Elend um sich herum und den Schmerz in seinem Herzen. Er genoss die wohltuende Frische des jungfräulichen Tages.
Eine Bewegung neben ihm ließ ihn die Augen wieder öffnen. Sein Vorgesetzter trat zu ihm, verschränkte die Arme in der blutdurchtränkten Uniformjacke vor seiner Brust und sah zu, wie die Farbintensität der Landschaft zunahm, sobald sie von der Sonne liebkost wurde.
»Sie dürfen sich nicht zu sehr reinhängen, Busch.«
»Ich hatte eine reelle Chance, den Artilleristen zu retten.«
»Und in dieser Zeit brauchten zwei andere Männer ebenfalls Ihre ärztliche Hilfe! Hören Sie, Sie sind ein junger Arzt; erst seit ein paar Wochen an der Front. Dass Sie alles richtig machen und dem Soldaten auf Ihrem Tisch alle Aufmerksamkeit zukommen lassen wollen, die seine Verletzung im Friedensfall bräuchte, ist völlig normal. Dennoch bin ich gezwungen, Sie darauf hinzuweisen, dass Sie nicht so viel Zeit mit einem einzigen Patienten vertändeln dürfen. Arbeiten Sie schneller, sortieren Sie gezielter aus, wer zu schlechte Chancen hat, den Tag oder eine Verlegung in Richtung Heimat zu überleben.«
»Das ist grausam und entwürdigend.«
»Aber unsere einzige Möglichkeit, dem Ansturm an Verletzten halbwegs gerecht zu werden. Sie zählen die Toten mittlerweile nicht mehr einzeln, sondern geben sie in Tausenderzahlen an. Busch,
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