Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
wirkte sie seltsam fehl am Platz. Sie strahlte trotz ihrer Sorgen und Probleme, die sie niederzudrücken versuchten, eine ungewöhnliche Stärke und Kampfeswillen aus. Philippe konnte Demys ungebrochene Lebensfreude und ihre selbstlose Nächstenliebe tatsächlich nur auf ihren Glauben zurückführen, den Maria vorhin so zweifelnd angeführt hatte. Ihr Vertrauen auf Gott schien Demy all das zu geben, was die Menschen und das Leben selbst ihr vorenthielten.
Aufrecht, den Kopf erhoben, die Hände in die schmalen Hüften gestemmt stand sie auf dem mehrfarbigen Parkett und blickte in Richtung Treppenhaus. Plötzlich sackten ihre Schultern nach unten. Als sie langsam in die Knie sank, wirkte es auf den heimlichen Beobachter, als habe sich der Boden unter ihr aufgetan. Sie beugte den Oberkörper nach vorn, bis ihre Stirn den Boden berührte, und umklammerte wie schützend ihren Kopf.
Philippe trat einen Schritt nach vorn, zog sich aber unverzüglich wieder zurück. Er empfand es nicht als richtig, sie in diesem Augenblick zu stören, glaubte sie sich doch allein. Zudem schien ihm, dass dieser nahtlose Wechsel von offenkundiger Kraft zu Sensibilität und Zartheit ihr wahres Ich ausmachte. Niemand konnte immer nur stark sein. Philippe wusste aus der bitteren Zeit nach Udakos Tod, dass Gott auch Zeiten der Schwäche zuließ, denn nur aus dieser heraus konnte er einen Menschen wieder aufrichten. Nur so konnte Demy ihr liebevolles Herz behalten. Ansonsten stand zu befürchten, dass dieses eines Tages erkaltete.
Vollkommene Stille herrschte im Haus, fast so, als gäbe es kein Leben in ihm. Aus diesem Grund wagte Philippe nicht, sich zu bewegen. Also sah er sie einfach nur an, wie sie mit dem zwischen ihren Händen hervorquellenden schwarzen Haar in völliger Reglosigkeit auf dem Parkett verharrte. Wie im Sommer, als sie in Paris festgesessen hatte, fühlte er seinen Beschützerinstinkt erwachen.
Ein verhaltenes Geräusch an der Eingangstür ließ Demy den Kopf heben. Auch Philippe runzelte die Stirn. Die Glocke war nicht gezogen worden. Wer verschaffte sich leise Zutritt zum Haus? Hatte Albert die Nachricht von der Verwundung seines älteren Bruders in Groß-Lichterfelde erreicht? Hatte er aufgrund der familiären Tragödie die Erlaubnis erhalten, nach Hause zu gehen?
Noch ehe Philippe seine Überlegungen zu Ende bringen konnte, raffte Demy den Rock, sprang auf die Füße und eilte mit fliegendem Haar zum Durchgang zwischen den Foyers. Zwei kleine Mädchen in einfachen Röcken flogen ihr förmlich entgegen und umarmten sie stürmisch. Ihnen folgte eine Rotkreuzschwester, und Philippe brauchte ein paar Sekunden, ehe er in ihr Hannes’ Ehefrau Edith erkannte.
Die beiden Frauen klammerten sich minutenlang aneinander; ohne Worte vereint in ihrem Schmerz. In dieser Zeit verharrten Hannes’ Töchter neben ihnen und bestaunten mit offenen Mündern und runden Augen das Foyer mit den Kronleuchtern, den gewaltigen Pflanzenkübeln samt Palmen, den Statuen, goldgerahmten Gemälden, bodenlangen Samtvorhängen vor den Fensternischen und den Stuckornamenten an Wand und Decke.
Schließlich bat Demy die drei Ankömmlinge in den selten benutzten Gästeraum, in dem sie Philippe zum ersten Mal begegnet war. Offenbar wollte Demy vermeiden, dass Hannes’ Familie gesehen wurde, und der Raum bot zur Not einen Ausgang in den Garten.
Unbemerkt lehnte Philippe sich an den Türrahmen des Besuchszimmers und beobachtete, wie die Mädchen das ehemalige Zuhause ihres Vaters erforschten. Demy und Edith standen vor der Fensterfront, schauten hinaus auf die trist wirkenden Bäume und unterhielten sich.
»Während meines Schwesternkurses hat sich eine Nachbarin um Luisa und Leni gekümmert. Aber sie ist alt und gebrechlich. Ich kann die Mädchen unmöglich über einen längeren Zeitraum dort unterbringen.«
»Ich könnte in der Zeit, in der du im Lazarett arbeitest, nach Luisa und Leni sehen.«
»Du verstehst mich nicht.« Edith drehte sich zu der jüngeren Frau um und ergriff ihre Hände. »Ich wollte sie zu meinen Eltern nach Magdeburg bringen, weil ich mich in das Lazarett habe versetzen lassen, in dem Hannes jetzt liegt.«
»Du willst nach Frankreich? In ein Frontlazarett ?« Demy klang zutiefst erschrocken.
»Begreifst du denn nicht? Ich will zu Hannes! Ich muss einfach zu ihm! Vergangene Woche bat man mich, dass ich in ein Lazarett in Belgien oder Frankreich wechseln möge. Das lehnte ich ab, da ich die Kinder nicht alleinlassen wollte.«
Weitere Kostenlose Bücher