Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
»Der soll den Kerl besser gleich holen! Oder meinetwegen auch der Teufel!«
Robert ignorierte die zierliche blasse Rotkreuzschwester, die ihr Entsetzen einmal mehr in beißenden Zynismus packte.
»Versuchen Sie, den Oberst durchzubekommen, Busch. Man möchte ihm einige Fragen stellen. Außerdem könnte er für einen etwaigen Austausch nützlich sein. Die russischen Offiziere entstammen alle ausnahmslos dem Hochadel«, rief sein Vorgesetzter herüber, ehe er den Raum durch eine Verandatür verließ.
»Ist das bei uns anders?«, fauchte Rosalie und ging Robert routiniert zur Hand. »Hier steckt eine Kugel in der Brust. Der Kerl gehört offenbar zur ganz zähen Sorte.«
»Sie reinigen die verbrannten Stellen, entfernen abgestorbenes Gewebe und decken alles schnell und möglichst sauber ab. Ich kümmere mich um die Kugel«, wies Robert an, da er sich von der kleinen, resoluten Schwester nicht vollständig das Heft aus der Hand nehmen lassen wollte. Zudem würde sie, war sie erst beschäftigt, hoffentlich auch den Mund halten.
Die nächsten zwei Stunden arbeiteten sie schweigend zusammen. Nachdem es Robert gelungen war, die Kugel zu entfernen, landete sie klappernd in einer blutigen Auffangschale. Zügig schloss er die Wunde und fragte sich mit einem Blick auf den wüst zugerichteten Körper des Mannes, ob seine Bemühungen nicht sinnlos waren. Seine bisherigen Erfahrungen sagten ihm, dass kein Mensch derartige Verbrennungen überlebte. Und die Soldaten, die das ein paar Stunden lang taten, wünschten sich unter fürchterlichen Qualen ihren Tod herbei.
Nachdem der Offizier versorgt war, verschwand Schwester Rosalie und Robert gönnte sich eine Pause, indem er sich auf einem Stuhl am Kopfende des Tisches niederließ. An zwei anderen Operationstischen arbeiteten seine Kollegen unermüdlich weiter. Wie von weit her hörte Robert ihre Anweisungen, vernahm das Stöhnen der Verletzten aus dem Nebenraum und die Ankunftsgeräusche neuer Verwundetentransporte. Inzwischen erwärmte die Sonne den Raum, dessen ausladende Fenster ihr ausreichend Gelegenheit boten, ihn mit ihren Strahlen zu durchfluten.
In seiner Erschöpfung glaubte Robert das Lachen von Kindern, die fröhlichen Stimmen von Erwachsenen und die gespenstischen Klänge eines Klaviers und einer Geige zu hören. Hatte so das Leben in diesem Rathaus mit angrenzendem Festsaal ausgesehen, bevor die Länder in blinder Wut übereinander hergefallen waren?
Das Zucken der Finger seines Patienten ließ Robert auf die Füße springen. Unter dem Kopfverband blickten ihn zwei dunkle Augen mit leicht apathischem Blick an. Sein spezieller Patient war wach, aber mit Sicherheit nicht in der Lage, sich der Befragung deutscher Offiziere zu stellen. Der Russe bewegte die aufgeplatzten, verbrannten Lippen, doch die Worte, die er murmelte, waren für Robert nicht zu verstehen, obwohl er des Russischen mächtig war. Das flüchtige Lächeln des Obersts, angesichts seiner Verbrennungen mehr eine hässliche Fratze, ließ ihn die Stirn runzeln. Wie kam der Verletzte dazu, einen deutschen Armeearzt anzulächeln? Wieder versuchte der es mit dem Sprechen, und Roberts Augen weiteten sich, als er in den undeutlich artikulierten Lauten seinen eigenen Namen verstand.
Dieser Mann kannte ihn!
Sofort schoss Robert der Gedanke durch den Kopf, dass der adelige Offizier aus Petrograd stammen musste und ihn in seiner Assistenztätigkeit bei Dr. Botkin kennengelernt hatte.
»Wer sind Sie?«, fragte er und beugte sich tief zu dem Verletzten herunter.
»Chabenski«, lautete die mühsam hervorgestoßene Antwort.
Kapitel 31
Bei Reims, Frankreich,
April 1915
Der Franzose feuerte nicht, sondern schwenkte mit seiner Morane-Saulnier neben ihm ein, sodass sie bald auf gleicher Höhe flogen. Philippe, dem das Verhalten des Piloten suspekt vorkam, warf einen Blick hinüber. Zu seinem Erstaunen winkte ihm sein Gegner mit der Hand zu.
Er zog eine Grimasse und überlegte, ob er den Augenblick nutzen sollte, um rechts wegzutauchen. In diesem Moment schob der Mann im anderen Flugzeug seine Schutzbrille auf die Stirn – und da erst erkannte Philippe in ihm Claude. Erleichterung durchflutete ihn. Er löste seine verkrampften Finger von der Steuerung und tippte sich mit der Linken grüßend an die Schläfe. Claude musste frühzeitig das Fluggerät erkannt haben, das Philippe ursprünglich für ihn gebaut hatte! Der Franzose stülpte sich die Brille wieder über, winkte nochmals und entfernte seine Maschine in
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