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Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Titel: Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
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dieser Krieg ist die Hölle, und Sie und ich stecken mittendrin.«
    Robert nickte. Die Hand des Oberarztes fiel schwer auf seine Schulter. »Sie werden das lernen. Ansonsten gibt es an Ihrer Arbeit nichts auszusetzen. Sie sind ein hervorragend ausgebildeter, präzise arbeitender Arzt!«
    Wieder nickte Robert und drehte sich um. Dabei ignorierte er den wachsenden Berg abgeschnittener Gliedmaßen zwischen dem Rathaus und einem angrenzenden Gebäude, der neben Fliegenschwärmen auch streunende Hunde und sich selbst überlassene Schweine anlockte.
    Mit der Schulter drückte er den schweren, mit Intarsien versehenen Türflügel des Eingangsportals auf. Sonnenstrahlen fielen durch die hohen, wunderschön verzierten Schmuckfenster auf die in Reih und Glied aufgestellten Feldbetten. Die Verletzten lagen entweder in desillusionierter Ergebenheit still, wanden sich laut jammernd vor Schmerz oder stießen wüste Flüche aus.
    Robert verharrte, umgeben von dem immer gleichen Geräuschpegel und dem penetranten Gestank, in dem sich seine Kollegen und einige tapfere Rotkreuzschwestern mit müden, verhärmten Gesichtern um die Soldaten bemühten.
    Robert hatte sich freiwillig für die Ostfront gemeldet, weil er damit Anki deutlich näher war als an einem westlichen Frontabschnitt. Dennoch blieb sie unerreichbar weit von ihm entfernt. Er wollte sich ihre schön geschnittenen Gesichtszüge und ihre schlanke Figur vorstellen, aber sein inneres Bild von ihr wurde von Tag zu Tag unschärfer, als verflüchtigten sich seine Erinnerungen an die geliebte Frau mit jeder Stunde, die er von ihr getrennt war, mehr. Es schmerzte ihn, sich ihre Stimme mit dem leichten niederländischen Akzent nicht mehr ins Gedächtnis rufen zu können, und er fragte sich, ob die Liebe zwischen ihnen ebenso rasch schwand wie seine Vorstellungskraft. Aber warum spürte er dann diesen brennenden, bohrenden Schmerz in seinem Herzen?
    Es tröstete ihn nicht, dass viele der Männer um ihn her ein ähnliches Schicksal teilten. Auch sie waren getrennt von ihren Freundinnen, Verlobten und Ehefrauen. Allerdings befanden sie sich immerhin in der glücklichen Lage, dass sie ihnen schreiben konnten. Sie erhielten Briefe und kleine Pakete. Er besaß nichts dergleichen, nicht einmal mehr Ankis Abschiedsgruß, den sie seiner Mutter zugesteckt hatte. Der Brief war ihm mitsamt seiner Brieftasche gleich am ersten Tag seiner Anwesenheit in diesem Lazarett entwendet worden. Robert fühlte sich, als wolle jemand jede Erinnerung an Anki, selbst den letzten Beweis ihrer Existenz vernichten.
    Das knirschende Geräusch sich nähernder Pferdefuhrwerke, begleitet von unmenschlichen Schreien, verriet Robert die Ankunft neuer Verletzter von der nur wenige Kilometer entfernt gelegenen Front. Er drehte sich um, stemmte auch den zweiten Türflügel auf und rief ein paar Sanitäter zu sich, die ihm beim Ausladen der menschlichen Fracht zur Hand gehen sollten. Unterdessen schleppten andere Männer eilig die jüngst Verstorbenen heraus, während zusätzliche Feldbetten in den ohnehin engen Durchgängen zwischen den Reihen aufgestellt wurden. In einem angrenzenden Zimmer, in dem zwischen Stuck, Ahnenbildern, wertvollem Nussparkett und Kronleuchtern ein Operationssaal eingerichtet worden war, entstand Hektik.
    Der leitende Sanitätsoffizier bellte Roberts Name durch die Halle und fügte hinzu, als er sich vorschriftsmäßig anwesend meldete: »Sie bekommen momentan nur einen Patienten unters Messer. Er könnte wichtig für uns sein. Ein russischer Offizier!«
    Robert drückte sich an den hektisch agierenden Menschen vorbei und betrat den Operationssaal. Alle bittersüßen Gedanken an Anki schloss er tief in seinem Herzen ein. Jetzt galt es zu handeln, zu funktionieren.
    ***
    Dem stämmigen Verletzten hing die Uniform in Fetzen vom Körper. Gesicht, Hände und Oberkörper waren auf dem Verbandsplatz notdürftig versorgt worden. Als Robert den Mull entfernte, blieben verkohlte Hautfetzen an diesem hängen. Rohes Fleisch, zum Teil schwarz verbrannt, kam darunter zum Vorschein.
    Robert gelang es kaum, einen der üblen Flüche zu unterdrücken, die er tagein, tagaus zu hören bekam. Er verachtete sowohl die neuerdings stattfindenden Versuche, mit verschiedenen toxischen Gasen eine hochwirksame, aber zutiefst menschenverachtende Waffe herzustellen, wie auch den Einsatz von Flammenwerfern als Kriegsinstrument.
    »Mein Gott«, murmelte Schwester Rosalie beim Anblick des Verletzten und fügte bissig hinzu:

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