Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
hoher Geschwindigkeit auf ihn zu. Jetzt war Philippe für den Kerl die perfekte Zielscheibe.
Schwitzend ließ Philippe die Leinwand mit dem Eisernen Kreuz aus seinem Eigenbau hängen. Er hoffte und betete, dass der Flugkünstler von dem deutschen Piloten wusste, der inkognito den Luftraum wechseln wollte.
Das aufblitzende Mündungsfeuer des M G s ließ seine Hoffnung schwinden. Die Kugeln zischten knapp über seine Tragflächen hinweg und verloren sich im Nebel. Donnernd überflog ihn die Albatros und wurde Sekunden später von der Wolkenwand verschluckt.
Diesmal behielt Philippe sowohl die Höhe als auch den Kurs bei. Vielleicht gelang es ihm, seine Gegner zu täuschen. Wenn er Glück hatte, rechneten sie mit einem neuerlichen Versteckspiel seinerseits.
Immer wieder blickte er sich um und fühlte die Spannung in seinem Inneren anwachsen. Sein Blindflug durch die weiße Wolkenmasse, die mal mehr, mal weniger Sicht freigab, war nicht dazu angetan, sich besser zu fühlen. So konnte er sich zwar verstecken, allerdings würde auch er die Albatrosse erst sehr spät sehen.
Die Wolken lichteten sich. Über ihm tauchte blauer Himmel auf, vor ihm erstreckten sich grüne Wiesen und Waldflächen. Von den drei Fliegern war nichts zu sehen. Philippe verspürte eher Irritation als Erleichterung. Ihm war, als bissen ihm Tausende von Ameisen in den Nacken, also warf er einen Blick zurück.
Da waren sie! Knapp hinter ihm. Angeordnet wie ein V, allerdings in versetzten Höhen. Gleichgültig, ob er nun steigen oder sinken würde – er war ihrem Beschuss gnadenlos ausgeliefert.
Kapitel 32
Bei Gorlice, österreichisches Kronland Galizien, Polen,
April 1915
Robert hatte zwei Dutzend andere Verletzte unter dem Messer gehabt, ehe sich ihm die Möglichkeit bot, zu dem russischen Oberst zurückzukehren.
Dieser lag inzwischen außerhalb des Rathauses in einem der lang gestreckten Zelte. Der Teil seines Gesichts, der nicht hinter Mull verborgen war, war von einer unnatürlichen Röte überzogen und glänzte vor Schweiß. Das vernehmliche Knirschen seiner Zähne verriet seine schrecklichen Schmerzen.
Robert setzte sich auf einen Holzhocker neben das Feldbett und fühlte nach dem rasenden Puls. Chabenskis Augen wanderten zu ihm und wieder sah Robert das Erkennen in ihnen aufleuchten.
»Ich gebe Ihnen noch mal etwas gegen die Schmerzen, Oberst Chabenski«, sagte Robert leise. Dann beugte er sich über ihn und fügte hinzu: »Darf ich Ihnen einen Brief an Anki zustecken? Womöglich kommen Sie bald in Ihre Heimat!«
Chabenski schloss kurz die Augen, was Robert als Zustimmung verstand. Er schob seinen nicht adressierten Brief in den Beutel am Bettende, in dem sich die Habseligkeiten des Obersts befanden, die man ihm gelassen hatte. Als Robert seine Aufmerksamkeit wieder auf den Offizier richtete, flüsterte dieser: »Falls ich es nicht schaffe … schreiben Sie an meine Frau … und die Kinder.«
Robert bejahte, wenngleich es bis Kriegsende dauern würde, bis sich ihm die Möglichkeit dazu bot.
»Ich habe einen begonnenen Brief«, raunte der Mann mit vor Schmerzen kaum verständlicher Stimme.
»Den soll ich Ihrer Familie schicken?«
Chabenski schloss, um seine Zustimmung zu signalisieren, erneut die wimpernlosen Lider. »In Bibel.« Seine Worte kamen zunehmend bruchstückhaft.
»Soll ich ihn gleich an mich nehmen, für den Fall …« Robert schluckte. Wenn Chabenski außerhalb seiner Dienstzeit starb, wusste er nicht, was mit dessen Eigentum geschehen würde.
Wieder erteilte Chabenski durch das Schließen seiner Augen seine Zustimmung. Robert nahm eine kyrillisch gedruckte Bibel heraus, eine Rarität, und zog zwischen ihren leise raschelnden Seiten ein eng beschriebenes Blatt hervor. Dieses hielt er so, dass der Russe es sehen konnte, der erneut die Lider senkte.
Sorgfältig steckte Robert die Zeilen des Schwerverletzten an Frau und Töchter in die Brusttasche seines Uniformrockes und klopfte mit der flachen Hand dagegen, zum Zeichen, dass er gut auf sie achten würde. Der Russe beobachtete es mit rot unterlaufenen Augen und verzog das größtenteils verbundene Gesicht zu einem Lächeln, bei dem sich jedoch ein gequältes Stöhnen über seine Lippen schlich.
»Ich gebe Ihnen jetzt Ihr Medikament, Herr Oberst.«
Der Mann streckte Zeige- und Mittelfinger, was Robert innehalten ließ. Aufmerksam betrachtete er den einst so stattlichen, nun zerschlagenen Körper des Adeligen. Mühsam formte der Verletzte die Worte, die sich im
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